artikelnovember2021
Gemeinsam einsam: aus der Selbsterschaffung in die Beziehung
Autor: Armin Ziesemer – Einsamkeit als schmerzvoll empfundenes Elend nimmt durch die Digitalisierung zu. Die Folgen davon sind psychosoziale Belastungssymptome, vermehrte Krankheitsabsenzen in Unternehmen und Unsicherheit in Beziehungserfahrungen. Dieser Artikel baut aus der Perspektive der Ich-Zustände der Transaktionsanalyse und mit dem Motiv eines polynesischen Schöpfungsmärchens eine Brücke von der Einsamkeitserfahrung hin zu gelingender Beziehungsgestaltung. Abschliessend bietet er Orientierung für beziehungsorientierte Haltungen und ermutigt zu integrierendem Handeln für mehr psychische Sicherheit in Führungsbeziehungen.
© Tom Hegen www.tomhegen.com
In beratender Tätigkeit erfahre ich das Ich-Zustandsmodell der Transaktionsanalyse als hilfreiches Instrument, um Dynamiken von Arbeitsbeziehungen zu beschreiben. Wir, der Klient und ich, lernen daran gemeinsam, welche alternativen Handlungsoptionen zu Verfügung stehen, sich selbst neu zu entdecken und Beziehung in der Organisation gelingend zu gestalten. Auffällig in solchen Prozessen ist immer wieder, wie Interventionen die Wahrnehmung der eigenen Identität verändern. Das Reden über ein «Als-Ob» führt zu einer neuen Realität und damit zu einer erweiterten Selbstwahrnehmung.
Die Vorstellung, dass psychische Organe genauso bestehen, wie Leber, Milz und Magen, fasziniert mich. Diese Faszination geht zurück auf meine physiotherapeutische Ausbildung. Damals hatte ich Gelegenheit, einer Leichenschau beizuwohnen. Ich erinnere mich, wie "dort drin" alles wunderbar aufgeräumt wirkte. Genauso ordne ich mir die psychischen Organe als drei Kreise übereinander in meine Vorstellungswelt ein. Drei Kreise deshalb, weil die Transaktionsanalyse drei Aspekte von Ich-Zuständen unterscheidet (Abb. 1). Ein Ich-Zustand stellt eine Einheit von Denken, Fühlen und Verhalten dar.
Die Vorstellung, dass psychische Organe genauso bestehen, wie Leber, Milz und Magen, fasziniert mich. Diese Faszination geht zurück auf meine physiotherapeutische Ausbildung. Damals hatte ich Gelegenheit, einer Leichenschau beizuwohnen. Ich erinnere mich, wie "dort drin" alles wunderbar aufgeräumt wirkte. Genauso ordne ich mir die psychischen Organe als drei Kreise übereinander in meine Vorstellungswelt ein. Drei Kreise deshalb, weil die Transaktionsanalyse drei Aspekte von Ich-Zuständen unterscheidet (Abb. 1). Ein Ich-Zustand stellt eine Einheit von Denken, Fühlen und Verhalten dar.
Abb. 1: Ich-Zustände in der Transaktionsanalyse
Die Exteropsyche schliesst Prägungen ein, die ich von Bezugspersonen z. B. von meinen Eltern, Grosseltern, Tanten, Onkeln und weiteren bedeutungsvollen Menschen oder Begebenheiten in meinem Leben übernommen habe. Die Archeopsyche drückt diejenigen psychischen Energien aus, die mir je nach Stand der Wissenschaft bis etwa zum siebten Lebensjahr geholfen haben, mich in meinem individuellen Umfeld gut zu behaupten. Sie werden als "Kind-Ich" zusammengefasst. Zwischen diesen beiden Ich-Zuständen, befindet sich das "Organ" der Neopsyche, die die Fähigkeit ausdrückt, auf Basis meiner Prägungen und frühen Entscheidungen abhängig vom jeweiligen Kontext im Hier und Jetzt bewusst und spontan gelingende Beziehungserfahrungen zu gestalten, ohne im "Damals – Dort" haften zu bleiben. Die Analogie zu meiner Leichenschauerfahrung unterstützt mich dabei, Bilder dafür zu entwickeln, um meine Persönlichkeit zu strukturieren, sie zu beschreiben und neue Erfahrungen zu integrieren.
Der weltweite Schatz an Überlieferungen bietet ebenfalls Bilder, um die Welt begreifbar zu machen. Aus ihm entspringt ein Reichtum aus unterschiedlichen Traditionen: Sagen, Mythen, Märchen, Legenden, religiöse Überlieferungen; sie alle wecken Symbole und Motive, die auf die Identitäts- und Beziehungsgestaltung wirken.
Ein besonderer Märchentypus sind Schöpfungsmärchen. Sie erklären, wie etwas entstanden ist. Bspw. erklären sie, wie die Eiche ihre zackigen Blätter erhielt oder wo die Sonne übernachtet. Damit gehen Schöpfungsmärchen über allgemein gültige Glaubenskonstruktionen hinaus. Sie fragen nicht danach, wer die Welt geschaffen hat, sondern danach, wer den geschaffen hat, der die Welt geschaffen hat. So erzählt ein polynesisches Märchen von Ta’aora und Tane. Bereits in seinen ersten drei Sätzen vermag es, den Geist zu bewegen:
Der weltweite Schatz an Überlieferungen bietet ebenfalls Bilder, um die Welt begreifbar zu machen. Aus ihm entspringt ein Reichtum aus unterschiedlichen Traditionen: Sagen, Mythen, Märchen, Legenden, religiöse Überlieferungen; sie alle wecken Symbole und Motive, die auf die Identitäts- und Beziehungsgestaltung wirken.
Ein besonderer Märchentypus sind Schöpfungsmärchen. Sie erklären, wie etwas entstanden ist. Bspw. erklären sie, wie die Eiche ihre zackigen Blätter erhielt oder wo die Sonne übernachtet. Damit gehen Schöpfungsmärchen über allgemein gültige Glaubenskonstruktionen hinaus. Sie fragen nicht danach, wer die Welt geschaffen hat, sondern danach, wer den geschaffen hat, der die Welt geschaffen hat. So erzählt ein polynesisches Märchen von Ta’aora und Tane. Bereits in seinen ersten drei Sätzen vermag es, den Geist zu bewegen:
Durch dieses Bild entsteht eine mythologische Atmosphäre, die auch als «Märchenstimmung» bekannt ist. Es wirft den Leser radikal auf sich selbst und schnörkellos auf das Ursprüngliche zurück. Es bricht mit der «Huhn-oder-Ei-Frage» und erklärt Schöpfung als Akt, der aus sich selbst heraus wirkt. Damit geht dieses Bild über ein intellektuelles Erfassen hinaus.
Zeit der Einsamkeit
"Laut einer im November 2020 veröffentlichten Umfrage der SRG [Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, Anm. d. Verf.] ist in der Schweiz zwischen Juni und Oktober 2020 die Angst vor sozialer Isolation und Einsamkeit im Zusammenhang mit der Pandemie von 30 auf 46% gestiegen."(2) Ein wesentlicher Beitrag dazu leistet gemäss einer verbreiteten Annahme die fortschreitende Digitalisierung. Zwischenmenschliche Beziehungen verlieren an Belastbarkeit und Halt, während Kommunikation in digitale Kanäle abwandert und echte, unmittelbare Begegnungen zur Mangelware werden. Wer selbst einmal in einem Coaching oder einer Psychotherapie war, weiss, wie oft das Unaussprechliche auszusprechen schwerfällt, obwohl die Empfindung klar und deutlich ist. Bei Einsamkeit macht es den Anschein, als sei der Begriff und das damit verbundene Erleben von einem stigmatisierenden Tabu umgeben. Sich in einem Taburaum zu fühlen, kann das Erleben dort zu sein, wo es "nichts weiter als unendliche Einsamkeit" gibt, verstärken.
Die Entwicklungen der letzten Monate haben die Arbeitswelt wesentlich verändert und alte Träume sterben alternativlos. Manche versuchen, diesen Wandel rational zu fassen und in Konzepte wie New Work, Arbeitswelt 4.0 oder New Leadership zu fassen. Andere wiederum wenden sich Ansätzen wie Agilität zu und wollen in rasanter Geschwindigkeit ein "New Normal" stabilisieren. Und doch macht es den Anschein, dass starke Kräfte Altes bewahren möchten und dabei entstehen irritierende Zustände in Transformationsprozessen. Es werden Handbücher für agiles Arbeiten verfasst und von jungen Menschen höre ich, dass sie in Bewerbungsgesprächen nach flachen Hierarchien und guten Aufstiegschancen suchen: Zeit des Umbruchs im Paradox.
Was die Transaktionsanalyse im Persönlichen Lebensskript bezeichnet, lässt sich auch auf Organisationen übertragen. Liebgewonnene Muster und Verhaltensweisen wollen bewahrt werden, in einer Zeit, in der eine radikale Transformation durch alle Lebensbereiche geht.
Prägungen aus negativen Bindungserfahrungen oder durch den gesellschaftlichen Wandel wie in der Arbeitswelt, können dazu führen, sich von seinem Umfeld zurückzuziehen, Beziehungsangebote abzulehnen oder keine mehr auszusprechen. Es entwickelt sich Einsamkeit und ein «Wir» geht verloren. Führungskräfte sind hier besonders angesprochen, in ihren Teams taugliche Beziehungsmuster für gesundheitsförderliche Organisationskulturen zu integrieren.
Nach Monaten, in denen Teamevents online oder nur mit vorsichtigem Abstand stattfanden, muss Nähe neu angewöhnt werden. Wo sich Mitarbeitende vielfach durch vermehrt geforderte Eigenverantwortung aus der Arbeit entfremden, sollen Führungsbeziehungen ein geeignetes Mass an Orientierung bieten. Denn Übereinkunft, wie Eigenverantwortung neu gelebt werden soll, besteht keine. Wo Rituale wegfallen und nicht neu interpretiert werden, kann darauf geachtet werden, ein Beziehungsbedürfnis nach Bestätigung zu erfüllen. Die Beziehungserfahrung «Jemand ist so wie ich» mindert die Einsamkeitserfahrung. Und nachdem in den letzten Jahren Einpersonenhaushalte weiter zugenommen haben, zeichnet sich – ebenfalls bedingt durch eine rasante Digitalisierung – zusätzlich eine verstärkte soziale Isolation auch im privaten Umfeld ab. Hier kann es wirkungsvoll sein, bestehende, wertschätzende und fürsorgliche Beziehungen zu vertiefen und einen regelmässigen Austausch vor Ort oder virtuell zu pflegen. Das Gefühl, «etwas nicht allein machen zu müssen», kann hier entlasten.
Heute bestehen offensichtlich Unsicherheiten über das sozial Verbindende und deutlich mehr Klarheiten über das Trennende. Soziale Isolation wird in Meinungen und Haltungen, aber auch physisch erlebt. Soziale Isolation ist dabei jedoch nicht gleichzusetzen mit Einsamkeit. Sie ist der psychologische Aspekt. So ist man nicht einsam, sondern man fühlt sich einsam. Es kann sich jemand durchaus wohlfühlen, mit sich allein zu sein. Erwacht das Gefühl einer emotionalen Verlassenheit, bedeutet das eine Gefühlsverunsicherung, die dazu führt, dass man sich das Fühlen abgewöhnt. «In diesem Sinne kann auf erwachsener Ebene von einem Sich-selber-Verlassen gesprochen werden» (Asper 1997) (3). Die Folge davon ist, dass wahre Gefühle wie Trauer, Wut oder Scham verdrängt werden und das Empfinden von Freude in den Hintergrund tritt. Wie mag es da Ta'aora gegangen sein damals, als "die Welt nichts weiter als unendliche Einsamkeit" war? In Momenten der Einsamkeitsempfindung führt uns das Märchen mit seinem irritierenden Motiv zu uns selbst zurück und lädt uns ein, über paradoxes Erleben gemeinsam getrost nachzudenken.
Die Entwicklungen der letzten Monate haben die Arbeitswelt wesentlich verändert und alte Träume sterben alternativlos. Manche versuchen, diesen Wandel rational zu fassen und in Konzepte wie New Work, Arbeitswelt 4.0 oder New Leadership zu fassen. Andere wiederum wenden sich Ansätzen wie Agilität zu und wollen in rasanter Geschwindigkeit ein "New Normal" stabilisieren. Und doch macht es den Anschein, dass starke Kräfte Altes bewahren möchten und dabei entstehen irritierende Zustände in Transformationsprozessen. Es werden Handbücher für agiles Arbeiten verfasst und von jungen Menschen höre ich, dass sie in Bewerbungsgesprächen nach flachen Hierarchien und guten Aufstiegschancen suchen: Zeit des Umbruchs im Paradox.
Was die Transaktionsanalyse im Persönlichen Lebensskript bezeichnet, lässt sich auch auf Organisationen übertragen. Liebgewonnene Muster und Verhaltensweisen wollen bewahrt werden, in einer Zeit, in der eine radikale Transformation durch alle Lebensbereiche geht.
Prägungen aus negativen Bindungserfahrungen oder durch den gesellschaftlichen Wandel wie in der Arbeitswelt, können dazu führen, sich von seinem Umfeld zurückzuziehen, Beziehungsangebote abzulehnen oder keine mehr auszusprechen. Es entwickelt sich Einsamkeit und ein «Wir» geht verloren. Führungskräfte sind hier besonders angesprochen, in ihren Teams taugliche Beziehungsmuster für gesundheitsförderliche Organisationskulturen zu integrieren.
Nach Monaten, in denen Teamevents online oder nur mit vorsichtigem Abstand stattfanden, muss Nähe neu angewöhnt werden. Wo sich Mitarbeitende vielfach durch vermehrt geforderte Eigenverantwortung aus der Arbeit entfremden, sollen Führungsbeziehungen ein geeignetes Mass an Orientierung bieten. Denn Übereinkunft, wie Eigenverantwortung neu gelebt werden soll, besteht keine. Wo Rituale wegfallen und nicht neu interpretiert werden, kann darauf geachtet werden, ein Beziehungsbedürfnis nach Bestätigung zu erfüllen. Die Beziehungserfahrung «Jemand ist so wie ich» mindert die Einsamkeitserfahrung. Und nachdem in den letzten Jahren Einpersonenhaushalte weiter zugenommen haben, zeichnet sich – ebenfalls bedingt durch eine rasante Digitalisierung – zusätzlich eine verstärkte soziale Isolation auch im privaten Umfeld ab. Hier kann es wirkungsvoll sein, bestehende, wertschätzende und fürsorgliche Beziehungen zu vertiefen und einen regelmässigen Austausch vor Ort oder virtuell zu pflegen. Das Gefühl, «etwas nicht allein machen zu müssen», kann hier entlasten.
Heute bestehen offensichtlich Unsicherheiten über das sozial Verbindende und deutlich mehr Klarheiten über das Trennende. Soziale Isolation wird in Meinungen und Haltungen, aber auch physisch erlebt. Soziale Isolation ist dabei jedoch nicht gleichzusetzen mit Einsamkeit. Sie ist der psychologische Aspekt. So ist man nicht einsam, sondern man fühlt sich einsam. Es kann sich jemand durchaus wohlfühlen, mit sich allein zu sein. Erwacht das Gefühl einer emotionalen Verlassenheit, bedeutet das eine Gefühlsverunsicherung, die dazu führt, dass man sich das Fühlen abgewöhnt. «In diesem Sinne kann auf erwachsener Ebene von einem Sich-selber-Verlassen gesprochen werden» (Asper 1997) (3). Die Folge davon ist, dass wahre Gefühle wie Trauer, Wut oder Scham verdrängt werden und das Empfinden von Freude in den Hintergrund tritt. Wie mag es da Ta'aora gegangen sein damals, als "die Welt nichts weiter als unendliche Einsamkeit" war? In Momenten der Einsamkeitsempfindung führt uns das Märchen mit seinem irritierenden Motiv zu uns selbst zurück und lädt uns ein, über paradoxes Erleben gemeinsam getrost nachzudenken.
Sich selbst erschaffen
Wenn sich wer selbst verlassen kann, gehe ich hoffnungsvoll davon aus, dass man allein oder mit Begleitung wieder Wege zu sich selbst findet. Ta'aora, der mythologischen Figur, gelingt der rational schwer nachvollziehbare Akt, sich aus der Einsamkeit heraus, selbst zu erschaffen. Menschen, die ihre Orientierung und Interessen vornehmlich im Aussen finden, laufen bei verstärkter sozialer Isolation Gefahr, eine innere Leere zu empfinden und sich zu langweilen. Eine Schöpfungserwartung an das Aussen wird wach und man wartet passiv ab, bis etwas Stimulierendes geschieht. Bleibt dieses Warten unerfüllt, kann es zu Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit oder Verzweiflung kommen. Die Folge davon kann Selbstvernachlässigung sein. Bei chronischer Einsamkeit besteht nachgewiesenermassen ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen, Depression oder Angst- und Zwangsstörungen, die bis zu Suizidfantasien oder darüber hinaus reichen können. Kurzum: Die Lebenskraft und der Schöpfungswille schwinden.
Die Auseinandersetzung mit Ich-Zuständen bietet konstruktive Anknüpfungspunkte für die Bereicherung des inneren Dialogs. Dazu kann es hilfreich sein, die inneren Stimmen bewusst wahrnehmen zu lernen. Kinder erfahren dies im magischen Alter von etwa vier Jahren, wenn sie beginnen, diffuse Gefühle als Gestalten zu beschreiben. Was Kinder können, das liegt beim Erwachsenen vielleicht verschüttet. Glaubenssätze wie "Ich war schon immer so!" oder "Das liegt an meinen Genen!", können bewertet werden, wie die Gültigkeit der Schwerkraft oder als gestaltbare Erlaubnis ("Ich nehme mich an, wie ich bin und kann gleichzeitig Neues wagen").
Mit dieser Erlaubnis gelang es einer Klientin im Vorfeld zu einem anspruchsvollen Gespräch, ein diffuses Gefühl im Bauch, das sie als einschränkend wahrnahm, in einen kleinen, grünen Hulk im Bauch zu wandeln. In einem anderen Coaching war es das Anliegen einer Klientin, mehr Gestaltungsraum für ihren beruflichen Entwicklungsprozess zu gewinnen. Das Entdecken des eigenen Gewohnheitstieres löste die vorher als rigide wahrgenommene Persönlichkeitsstruktur und führte zu mehr Fantasie. Sichtbar wurde dabei unmittelbar die Entspannung der Gesichtszüge. Solche kreativen Leistungen machen die eigene Identität flexibler und gestaltbarer. Es wird Spontaneität entwickelt und mehr Bewusstheit für die eigene, vielfältige Persönlichkeit geschaffen.
Vertiefen wir an dieser Stelle das mythologische Motiv von Ta'aora, dann gelangen wir unweigerlich an eine Schwelle zu einer Selbsterschaffung, die wesentlich wird. Wer sich einsam fühlt, fühlt sich gleichzeitig nicht zugehörig. In der analytischen Psychologie ist Einsamkeit das "principium individuationis" (4), also das "Negativ des Enthaltenseins" (5). "Charakteristisch ist dafür das deutsche Wort 'Elend', das sowohl Unglück wie Verstossensein aus der Heimat bedeutet." (6) Damit verbunden, so Neumann (2021: ibid) seien Begriffssymbole des Exils und der Wüste. Biografien von Eremiten, die sich ins Exil begaben oder sich über Jahre in die Wüste oder andere einsame Orte zurückziehen, setzen sich intensiv mit der Wesensschau in der Einsamkeit auseinander. Deshalb überrascht es nicht, dass die Mystik sie "als unabdingbare und notwendige Voraussetzung [betrachtet], Gott in die eigene Seele einfliessen zu lassen." (7)
Wer seine Persönlichkeit tieferschürfend zu entwickeln sucht, der sollte sich mit Einsamkeit anfreunden. Als Existenzerfahrung bietet das Einsamkeitsempfinden eine Spurensuche nach dem wahren Selbstwert an. Die Radikalität, wie es das Märchenmotiv von Ta'aora zeigt, wirft uns auf die Verantwortung zurück, eigener Vater und eigene Mutter zu sein und uns selbst wertzuschätzen. Dies bedeutet, mit der "Neopsyche"– dem Erwachsenen-Ich – innere Impulse wahrzunehmen, sie im Kontextbezug neu zu bewerten, um lösungsorientiert und konstruktiv von innen heraus vielfältiger zu werden. Durch die Märchenarbeit begegnen mir besonders in der Führungsarbeit, die regelmässig mit Einsamkeitsgefühlen begleitet ist, Glaubenszweifel. Unter Glauben verstehe ich mehr als eine Zuwendung zu Religiosität, sondern eine gewissenhafte Sorgfalt in der Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie eine bewusste Achtsamkeit im Tun, das sich von religiösen Dogmen löst und Spiritualität aus der mystischen Tiefe zu verstehen sucht. Weil Märchen und Mythen losgelöst von religiösen Glaubenskonstruktionen sind, ermöglichen sie eine freie, kindliche Erfahrung, die sich in das erwachsene Erleben übertragen lässt. Die Transaktionsanalytiker Muriel James und Louis M. Savary (8) beschreiben in diesem Zusammenhang den Typus eines «ER-Glaubenden», der religiös durch das motiviert ist, was man «als Einsicht bezeichnen kann» (9). Ich kann die Arbeiten von James und Savary empfehlen, weil sie bei frühen Verletzungen und einem erschwerten Zugang zu Spiritualität und Religion für die Führungsarbeit gerne entlastend wirken (Tab. 1).
Die Auseinandersetzung mit Ich-Zuständen bietet konstruktive Anknüpfungspunkte für die Bereicherung des inneren Dialogs. Dazu kann es hilfreich sein, die inneren Stimmen bewusst wahrnehmen zu lernen. Kinder erfahren dies im magischen Alter von etwa vier Jahren, wenn sie beginnen, diffuse Gefühle als Gestalten zu beschreiben. Was Kinder können, das liegt beim Erwachsenen vielleicht verschüttet. Glaubenssätze wie "Ich war schon immer so!" oder "Das liegt an meinen Genen!", können bewertet werden, wie die Gültigkeit der Schwerkraft oder als gestaltbare Erlaubnis ("Ich nehme mich an, wie ich bin und kann gleichzeitig Neues wagen").
Mit dieser Erlaubnis gelang es einer Klientin im Vorfeld zu einem anspruchsvollen Gespräch, ein diffuses Gefühl im Bauch, das sie als einschränkend wahrnahm, in einen kleinen, grünen Hulk im Bauch zu wandeln. In einem anderen Coaching war es das Anliegen einer Klientin, mehr Gestaltungsraum für ihren beruflichen Entwicklungsprozess zu gewinnen. Das Entdecken des eigenen Gewohnheitstieres löste die vorher als rigide wahrgenommene Persönlichkeitsstruktur und führte zu mehr Fantasie. Sichtbar wurde dabei unmittelbar die Entspannung der Gesichtszüge. Solche kreativen Leistungen machen die eigene Identität flexibler und gestaltbarer. Es wird Spontaneität entwickelt und mehr Bewusstheit für die eigene, vielfältige Persönlichkeit geschaffen.
Vertiefen wir an dieser Stelle das mythologische Motiv von Ta'aora, dann gelangen wir unweigerlich an eine Schwelle zu einer Selbsterschaffung, die wesentlich wird. Wer sich einsam fühlt, fühlt sich gleichzeitig nicht zugehörig. In der analytischen Psychologie ist Einsamkeit das "principium individuationis" (4), also das "Negativ des Enthaltenseins" (5). "Charakteristisch ist dafür das deutsche Wort 'Elend', das sowohl Unglück wie Verstossensein aus der Heimat bedeutet." (6) Damit verbunden, so Neumann (2021: ibid) seien Begriffssymbole des Exils und der Wüste. Biografien von Eremiten, die sich ins Exil begaben oder sich über Jahre in die Wüste oder andere einsame Orte zurückziehen, setzen sich intensiv mit der Wesensschau in der Einsamkeit auseinander. Deshalb überrascht es nicht, dass die Mystik sie "als unabdingbare und notwendige Voraussetzung [betrachtet], Gott in die eigene Seele einfliessen zu lassen." (7)
Wer seine Persönlichkeit tieferschürfend zu entwickeln sucht, der sollte sich mit Einsamkeit anfreunden. Als Existenzerfahrung bietet das Einsamkeitsempfinden eine Spurensuche nach dem wahren Selbstwert an. Die Radikalität, wie es das Märchenmotiv von Ta'aora zeigt, wirft uns auf die Verantwortung zurück, eigener Vater und eigene Mutter zu sein und uns selbst wertzuschätzen. Dies bedeutet, mit der "Neopsyche"– dem Erwachsenen-Ich – innere Impulse wahrzunehmen, sie im Kontextbezug neu zu bewerten, um lösungsorientiert und konstruktiv von innen heraus vielfältiger zu werden. Durch die Märchenarbeit begegnen mir besonders in der Führungsarbeit, die regelmässig mit Einsamkeitsgefühlen begleitet ist, Glaubenszweifel. Unter Glauben verstehe ich mehr als eine Zuwendung zu Religiosität, sondern eine gewissenhafte Sorgfalt in der Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie eine bewusste Achtsamkeit im Tun, das sich von religiösen Dogmen löst und Spiritualität aus der mystischen Tiefe zu verstehen sucht. Weil Märchen und Mythen losgelöst von religiösen Glaubenskonstruktionen sind, ermöglichen sie eine freie, kindliche Erfahrung, die sich in das erwachsene Erleben übertragen lässt. Die Transaktionsanalytiker Muriel James und Louis M. Savary (8) beschreiben in diesem Zusammenhang den Typus eines «ER-Glaubenden», der religiös durch das motiviert ist, was man «als Einsicht bezeichnen kann» (9). Ich kann die Arbeiten von James und Savary empfehlen, weil sie bei frühen Verletzungen und einem erschwerten Zugang zu Spiritualität und Religion für die Führungsarbeit gerne entlastend wirken (Tab. 1).
Tab.1: Der Typus eines «ER-Glaubenden»
Haltung wahren
Wie jede Erfahrung ist auch die der Einsamkeit individuell konstruiert. Sie gilt gemeinhin "als Existenzerfahrung von der Abgeschiedenheit des Individuums von seiner Umwelt, sowohl im seelischen als auch im räumlichen Sinne" (10). Im Alltagserleben hat Einsamkeit viele Gesichter. Im Leiden kann es bedeuten, sich auf eine Grundposition zu beschränken, in der man sich selbst ab- und andere aufwertet (Ich bin nicht OK, Du bist OK) oder in der Selbstabwertung gleichzeitig andere abwertet (Ich bin nicht OK, Du bist nicht OK). Beide Selbstwahrnehmungen sind destruktiv. Als Verteidigungsposition zur Steigerung des Selbstwertes wird erfahrungsgemäss die Grundposition "Ich bin OK, Du bist nicht OK" gewählt. Hier wird mangelndes Selbstwertempfinden dadurch kompensiert, indem Mitmenschen und das soziale Umfeld abgewertet werden. Während im ersten Fall eine Opferhaltung ("Ich kann ja eh nichts tun, auch wenn du mir noch so hilfst" oder "Du kannst mir armem Tropf eh nicht helfen") dominiert, wird im zweiten die Wahrnehmung des Andern zum Selbstschutz abgewertet ("Es geht mir gut. Ich weiss nicht, was du hast.").
Die Frage, weshalb wir eine oder andere destruktive Grundpositionen wählen, ist auf unsere frühen Prägungen oder Entscheide zurückzuführen, wie wir damals das Gefühl hatten, am besten durchs Leben zu kommen. Damit sind Wertvorstellungen, Vorurteile und Prägungen mitgekommen, die unser Handeln wesentlich beeinflussen.
Als vierte Grundposition nennt die Transaktionsanalyse die "Ich bin OK, Du bist OK"-Haltung. Kinder werden in dieser Position geboren und Erwachsene kennen dieses Grundgefühl. Was der Säugling jedoch als grenzenloses OK-Gefühl erlebt, wird beim Erwachsenen durch seine Lebenserfahrung als "OK-OK-realistisch" (11) korrigiert. Diese fünfte Grundposition, welche Fanita English beschreibt, "basiert auf der Fähigkeit, das Erwachsenen-Ich (Ratio) einzusetzen und mit Frustrationen wirklichkeitsgerecht umzugehen." (12) Hier geht es darum, ethische Haltungen zu entwickeln und "seine Grenzen und die Begrenztheit der anderen und des Lebens allgemein" (13) akzeptieren zu lernen – und Haltung zu wahren.
Die Frage, weshalb wir eine oder andere destruktive Grundpositionen wählen, ist auf unsere frühen Prägungen oder Entscheide zurückzuführen, wie wir damals das Gefühl hatten, am besten durchs Leben zu kommen. Damit sind Wertvorstellungen, Vorurteile und Prägungen mitgekommen, die unser Handeln wesentlich beeinflussen.
Als vierte Grundposition nennt die Transaktionsanalyse die "Ich bin OK, Du bist OK"-Haltung. Kinder werden in dieser Position geboren und Erwachsene kennen dieses Grundgefühl. Was der Säugling jedoch als grenzenloses OK-Gefühl erlebt, wird beim Erwachsenen durch seine Lebenserfahrung als "OK-OK-realistisch" (11) korrigiert. Diese fünfte Grundposition, welche Fanita English beschreibt, "basiert auf der Fähigkeit, das Erwachsenen-Ich (Ratio) einzusetzen und mit Frustrationen wirklichkeitsgerecht umzugehen." (12) Hier geht es darum, ethische Haltungen zu entwickeln und "seine Grenzen und die Begrenztheit der anderen und des Lebens allgemein" (13) akzeptieren zu lernen – und Haltung zu wahren.
Integrierend handeln
Als Unternehmensberater erlebe ich aktuell verstärkt, dass sich wache, sensitive Führungspersonen in Unternehmenskulturen einsam fühlen, weil ihre Mitarbeitenden irritiert darüber sind, wie Beziehung im Team unter sich verändernden organisationalen Gegebenheiten gestaltet werden soll. Es fehlt an Orientierung. Oft sind Rückzug und Verdrängung die Mittel der Wahl, woraus folgt, dass sich der Mensch in der Organisation distanziert und er sich mit andern gemeinsam einsam fühlt. Er entfremdet sich gekränkt. Weil der Mensch ein soziales Wesen ist, ist seine Sehnsucht nach nährenden positiven Bindungs- und Beziehungserfahrungen stark. So einfach wie es klingt, so herausfordernd scheint es zu sein: Gegen die Einsamkeit hilft, auf Mitarbeitende zu achten, anderen bewusst Aufmerksamkeit zu schenken und für sich selbst gut zu sorgen. Zuoberst steht, seine Lebenszeit mit sinnvoll erfahrenen Beschäftigungen zu verbringen. Mit Blick auf die Ich-Zustände gilt zu berücksichtigen, dass "ein Mensch zu einem bestimmten Zeitpunkt nur der Mensch sein kann, der er/sie ist. Das bedeutet, dass er/sie einer bestimmten Situation nur mit einer der Reaktionsweisen begegnen kann, die er/sie in seinem/ihrem Repertoire hat." (14) Während die Digitalisierung Prozesse zu optimieren vermag, wird übersehen, welche sozialen Kosten entstehen, wenn die psychische Sicherheit in Organisationen beeinträchtigt ist. Mitarbeitende fühlen sich fremd, wenn in konventionell hierarchischen Strukturen eine neue Eigenverantwortung übergangslos in gelingende Beziehung gewandelt werden soll. Die Folge ist, dass ein Dialog auf Augenhöhe ("Ich bin OK, Du bist OK") nicht gelingt und sich negative Beziehungserfahrungen bestätigen. So führt Einsamkeit als lähmende Empfindung weiter dazu, dass Teamleistungen abnehmen, wo eine seelische Verbundenheit, eine «participation mystique» (15), Energien zu mobilisieren versteht. Schliesslich ist Einsamkeit ein Ruf, sich selbst, die Umwelt zum eigenen Wohl, dem Wohl der Mitarbeitenden wie auch langfristig die Unternehmensperformance menschlicher und beziehungsförderlicher zu gestalten. Es geht dabei darum, Unterschiede in der Organisationsentwicklung so zu integrieren, damit ein Unterschied entsteht, der im Markt und für die Organisation einen Unterschied für eine nachhaltig lebendige Entwicklung schafft – aus sich selbst heraus. Gemeinsam.
Fussnoten
1. Steinwede, D. (1982: 47): Wo die Sonne übernachtet – Schöpfungsmärchen der Völker, 2. Aufl., Gütersloher. Gütersloh.
2. https://saez.ch/article/doi/saez.2021.19505 [14.09.2021]
3. Asper, K. (1997: 36): Verlassenheit und Selbstentfremdung – Neue Zugänge zum therapeutischen Verständnis. 5. Auflage. DTV. München.
4. Neumann, E. (2021: 76): Die grosse Mutter – Bilder und Symbole des Weiblichen. 2. Aufl. Patmos. Ostfildern.
5. ibid
6. ibid
7. Bohn, C. (2006: 11): Einsamkeit im Spiegel der sozialwissenschaftlichen Forschung. Dissertation zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Philosophie. Fachbereich Erziehungswissenschaft und Soziologie Universität Dortmund.
8. James, M. et Savary L. M. (1980: 64): Befreites Leben – Transaktionsanalyse und religiöse Erfahrung. Chr. Kaiser. München.
9. ibid S. 72
10. Tisch, W. (1980: 432): Einsamkeit. In: Lexikon der Psychologie: Arnold, Wilhelm, u.a. (Hrsg.). 1. Band; A – Gyrus. Herder. Freiburg im Breisgau.
11. http://www.b-treude.de/fanita_english.htm [15.09.2021]
12. ibid
13. https://www.ebi-zuerich.ch/cm_data/EBI-Grundpositionen.pdf [14.09.2021]
14. Andersen, T. (2011: 35): Das reflektierende Team, in Andersen, T. (Hrsg.), Das reflektierende Team – Dialoge und Dialoge über die Dialoge. 5. Aufl. Modernes Lernen. Dortmund.
15. Neumann, E. (2021: 56): Die grosse Mutter – Bilder und Symbole des Weiblichen. 2. Aufl. Patmos. Ostfildern.
2. https://saez.ch/article/doi/saez.2021.19505 [14.09.2021]
3. Asper, K. (1997: 36): Verlassenheit und Selbstentfremdung – Neue Zugänge zum therapeutischen Verständnis. 5. Auflage. DTV. München.
4. Neumann, E. (2021: 76): Die grosse Mutter – Bilder und Symbole des Weiblichen. 2. Aufl. Patmos. Ostfildern.
5. ibid
6. ibid
7. Bohn, C. (2006: 11): Einsamkeit im Spiegel der sozialwissenschaftlichen Forschung. Dissertation zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Philosophie. Fachbereich Erziehungswissenschaft und Soziologie Universität Dortmund.
8. James, M. et Savary L. M. (1980: 64): Befreites Leben – Transaktionsanalyse und religiöse Erfahrung. Chr. Kaiser. München.
9. ibid S. 72
10. Tisch, W. (1980: 432): Einsamkeit. In: Lexikon der Psychologie: Arnold, Wilhelm, u.a. (Hrsg.). 1. Band; A – Gyrus. Herder. Freiburg im Breisgau.
11. http://www.b-treude.de/fanita_english.htm [15.09.2021]
12. ibid
13. https://www.ebi-zuerich.ch/cm_data/EBI-Grundpositionen.pdf [14.09.2021]
14. Andersen, T. (2011: 35): Das reflektierende Team, in Andersen, T. (Hrsg.), Das reflektierende Team – Dialoge und Dialoge über die Dialoge. 5. Aufl. Modernes Lernen. Dortmund.
15. Neumann, E. (2021: 56): Die grosse Mutter – Bilder und Symbole des Weiblichen. 2. Aufl. Patmos. Ostfildern.
Armin Ziesemer
Schaffhausen (CH) und Salzburg, ist Fachexperte für Betriebliches Gesundheitsmanagement in der Früherkennung und -intervention. Als Betriebsökonom verfügt er über eine breite Praxiserfahrung u.a. als Aufsichtsrat aus der Industrie und aus Familienunternehmen. Der Gründer der Synop-Sys Organisationsentwicklung GmbH nutzt die Transaktionsanalyse (Praxiskompetenz / unter Supervision) in seinen Beratungsprozessen. Dabei schöpft der zertifizierte Märchenerzähler in sinnstiftenden Beratungen aus seinem tiefen Wissen von den Wirkmechanismen der Volksmärchen.
www.synop-sys.ch, info@synop-sys.ch
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