artikeldezember2021

Vom Ich zum Wir – Nutzen der TA für die interne Kommunikation

Autorin: Dr Lucia Wuersch – Ich sehe Kultur als Produkt der Interaktion zwischen sich selbst und anderen in einer Übungsgemeinschaft. In meinem Denken wird ein Individuum zur Grundeinheit der Kultur. Aus der Sicht dieses Individuums ist das Selbst der Ausgangspunkt für den kulturellen Erwerb und die Weitergabe.(1)
In diesem Artikel reflektiere ich den Nutzen von TA beim Übergang vom Ich zum Wir in der internen Kommunikation von Organisationen. Dabei ist es mir ein Anliegen, Erfahrungen aus meinem Praxisalltag als Kommunikationsverantwortliche und Erkenntnisse meiner Forschungsarbeit an der Charles Sturt University in Australien einzubringen.
Vom Flurgespräch zur Mitteilung aus der Chefetage
Die interne Kommunikation kennt viele Formen, wie zum Beispiel informeller Austausch zwischen Mitarbeitenden, Beurteilungsgespräche, Teammeetings, Intranet und Mitteilungen des Top-Managements an das gesamte Unternehmen. Die interne Kommunikation umfasst jegliche formelle und informelle Kommunikation, welche auf allen Ebenen einer Organisation stattfindet(2). In der Literatur gibt es verschiedene Ansätze, interne Kommunikation zu definieren; weitverbreitet sind der funktionale und der bedeutungszentrierte Ansatz(3).
Meine Berufserfahrung als Kommunikationsverantwortliche zeigte, dass die interne Kommunikation oft vor einem funktionalen Hintergrund verstanden wird. Dieser funktionale Ansatz hebt technische Elemente hervor und beschreibt interne Kommunikation als Informationstransfer und Prozesse innerhalb einer Organisation. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, gleicht eine Organisation einer ,Kiste‘ bestehend aus einem System von Kommunikationskanälen, in welchen Informationen kodiert und dekodiert werden(4). Ein solcher funktionaler Ansatz ignoriert subjektive und kulturelle Einflüsse bei der Übermittlung von Informationen(5).
Der bedeutungszentrierte Ansatz beschreibt, wie Leute in einer Organisation miteinander in Beziehung treten und gemeinsam Kultur schaffen. Der Fokus liegt dabei auf zwischenmenschlichen Beziehungen, Netzwerken und interpersonellen Dynamiken. Demzufolge gibt es keine Organisation, sondern Menschen, die fortlaufend miteinander interagieren und kontinuierlich Ereignisse schaffen. Das heisst, dass Individuen durch Interaktion mit anderen in einem ko-kreativen Prozess gemeinsame Sprache, Realitäten und Weltbilder erschaffen und gestalten.
Interne Kommunikation als vernachlässigter Managementbereich
Eine gut funktionierende Unternehmenskommunikation trägt massgeblich zum Erfolg der gesamten Organisation bei. Gleichzeitig haben Studien gezeigt, dass die interne Kommunikation als Top-drei-Führungskompetenz oftmals vernachlässigt wird(6). Dies kann zu unzureichender Information, fehlender Unterstützung durch Vorgesetzte und Mitarbeitende sowie einem reduzierten Kommunikationsklima im Unternehmen führen. Solche Missstände wirken sich häufig negativ auf das Wohlbefinden und die Leistungen der Mitarbeitenden aus und können in einem Burnout enden(7). Zudem kann unzureichende interne Kommunikation den Nährboden für psychologische Spiele schaffen, die sich beispielsweise in Form von Mobbing am Arbeitsplatz zeigen.
Als Kommunikationsverantwortliche erlebte ich, wie die interne Kommunikation einer Organisation gänzlich vernachlässigt wurde, nach dem Motto, interne Kommunikation beginnt, wenn man mit der externen fertig ist. Probleme in der internen Kommunikation wurden in jener Organisation durch ungelöste Konflikte und Krankheitsabwesenheiten von Mitarbeitenden sichtbar.
Eine andere Organisation hatte die Tendenz, interne Kommunikation auf technische Aspekte zu reduzieren. Zum Beispiel wollte man die im Leitbild verankerten Werte umsetzen, indem man sie auf die Kaffeetassen der Mitarbeitenden druckte. Eine andere Vorstellung war, transparente interne Kommunikation herzustellen, indem man in der Cafeteria einen Bildschirm mit der Sitzungsagenda aufschaltete. Schliesslich wurde ich beauftragt, ein internes Kommunikationskonzept zu erarbeiten. Dabei war die Antwort auf meine umfassende Situationsanalyse, ich solle kein Doktorat, sondern lediglich ein Konzept für einen internen Newsletter schreiben. Mir war klar, dass ein Newsletter alleine zu kurz greifen würde, um die interne Kommunikation der Organisation zu verbessern – und entschied mich fürs Doktorat.
Forschungsarbeit zur TA in der internen Kommunikation
Meine Arbeitserfahrung zeigte, wie es neben technischen Elementen, z. B. dem Intranet (funktional), auch soziale Elemente, wie die Beziehungspflege, braucht, um Vertrauen zu schaffen und eine erfolgreiche interne Kommunikation zu erreichen. Diese Erkenntnis entspricht der Definition von Organisationen als sozio-technische Systeme(8). Mit abgeschlossener Praxiskompetenz in Transaktionsanalyse fokussierte ich mich in meiner Forschungsarbeit auf die Frage, wie sich die Anwendung von TA auf die interne Kommunikation inklusive Ich, Du und Wir-Verhalten einer Organisation auswirkt.
Es war ein Glücksfall, in Kontakt mit einer Organisation mit rund 300 Mitarbeitenden zu kommen, welche seit über 20 Jahren TA als strategisches Tool einsetzt, um die externe Kommunikation mit ihren Kunden, den Stellensuchenden, zu optimieren. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass TA, einmal verinnerlicht, in unterschiedlichen Lebensbereichen angewandt werden kann (9). So untersuchte meine Forschungsarbeit in dieser Fallstudien-Organisation den Einfluss der jahrelangen TA-Anwendung auf die interne Kommunikation und ging der Frage nach, ob und wie TA helfen kann, interne Kommunikation zu verbessern.
Ich, Du, Wir sind OK
TA bietet mit den Lebensgrundpositionen ein Konzept zur Verbesserung der Kommunikation am Arbeitsplatz an. Das Konzept der Lebensgrundpositionen beinhaltet die Akzeptanz des Gegenübers und hat seinen Ursprung in Bernes (10) Grundprinzip ,Menschen sind OK‘. Harris(11)diskutierte dieses Grundprinzip ausführlich im sozialen Kontext der zwischenmenschlichen Beziehungen als ,Ich bin OK/Du bist OK‘-Konzept. Dieses Konzept beschreibt die konstruktive Lebensgrundposition und die humanistische Haltung zweier Menschen, welche sich mit einer positiven Einstellung gegenüberstehen und sich ,auf Augenhöhe‘ begegnen.
TA geht davon aus, dass ein Kind mit einer ,Ich bin OK/Du bist OK‘ Position, auch ausgedrückt als OK/OK (+/+), geboren wird. Negative Erfahrungen können jedoch dazu führen, dass eine Person ihre Lebenseinstellung ändert in ,Ich bin OK/Du bist nicht OK‘ (+/-), ,Ich bin nicht OK/Du bist OK‘ (-/+) oder ,Ich bin nicht OK/Du bist nicht OK‘ (-/-) (12). Anhand dieser vier Lebensgrundpositionen entwarf Ernst(13) den ,OK-Corral‘ in der Form eines geviertelten Quadrates. Hay(14) benannte die vier Lebensgrundpositionen als ,Fenster‘, durch welche Individuen die Welt betrachten. Schliesslich fügten Mountain und Davidson (15) dem OK-Corral eine dritte Dimension hinzu (Abb. 1): das ,Sie‘, die Anderen (neben dem Ich und Du). Diese dritte Dimension kann eine oder mehrere Personen, z. B. ein Team, umfassen.
Insgesamt kann das Grundprinzip ,Menschen sind OK‘ und seine erweiterten Formen als Framework für die Analyse von Interaktionen in Organisationen auf allen Ebenen verwendet werden.
Abb. 1: Dreidimensionales OK-Sein (adaptiert von Mountain und Davidson, 2011, S. 24)
Nutzen von +/+ zur Weiterentwicklung vom Ich zum Wir
Für ein gutes Arbeitsklima braucht es eine gesunde Kommunikation auf verschiedenen Ebenen: auf der obersten Organisationsebene, ausgehend vom Leitungsgremium, an alle Mitarbeitenden(16) und auf der zwischenmenschlichen Beziehungsebene, beispielsweise im Austausch zwischen Teammitgliedern(17). Meine Fallstudie zeigte zudem die Wichtigkeit der intrapersonellen Ebene auf; eine gesunde Beziehung zu sich selbst schafft die Basis für eine konstruktive Beziehung zum Gegenüber und eine effektive interne Kommunikation(18).
Im 2017 besuchte ich die Fallstudien-Organisation, um Daten für meine Forschungsarbeit zu sammeln. In der Feldarbeit erklärte mir Esther* im Interview, wie sie als Personalberaterin anhand des OK-Corrals ihr OK-Sein jeden Morgen selber überprüft, um fit fürs Gegenüber zu sein. Sie merke dabei, wenn sie auf mehr Schlaf, eine ausgewogenere Freizeitgestaltung oder gesündere Ernährung achten sollte.
Esther — Wenn ich mich selbst überprüfe, erkenne ich, ob es mir gut geht. Habe ich das Gefühl, etwas stimmt nicht mit mir und ich bin fehl am Platz, beginne ich, mich damit auseinanderzusetzen. Es ist nicht jeden Tag gleich. Ich arbeite sehr intuitiv und merke es schnell, wenn es zwischenmenschliche Störungen gibt. Solche Störungen können nur behoben werden, wenn man selber im grünen Bereich ist. Sonst ist es besser, es sein zu lassen.

Das Selbst kann als komplexes System von Prozessen, Überzeugungen und Zuständen definiert werden, aus welchen verschiedene Konstrukte entstehen wie Identität, Selbstkonzept und Selbstbild(19). Die intrapersonelle Kommunikation betont biologische und psychologische Prozesse, die bei der Verarbeitung von Informationen vor, während oder nach der Formulierung einer Nachricht im Kopf und oftmals im ganzen Körper ablaufen. Das Selbstkonzept und die individuelle Kommunikationsfähigkeit haben einen Einfluss auf die Interaktion von Personen(20). Das heisst, wie Menschen sich selbst sehen, beeinflusst die Art und Weise, wie sie mit anderen kommunizieren. Eine positive Selbsteinschätzung kann der Beginn einer bejahenden Kommunikation mit dem Gegenüber sein und die Beobachtung, wie andere auf einen selbst reagieren, gibt Aufschluss über das eigene Kommunikationsverhalten.
Angewandt im Kontext der internen Kommunikation könnte ein Beispiel für eine schädliche Lebensgrundposition ein Vorgesetzter mit der Einstellung sein ,Ich bin hier der Chef und Du nur der Angestellte‘ (+/-)(21). Eine solche Haltung ist nicht produktiv. Kurt, ein Teamleiter, erklärte mir im Interview, wie ihm das OK/OK-Konzept im Führungsalltag hilft, wertschätzende Mitarbeitendengespräche zu führen.
Kurt — Ich führe auch Gespräche mit Mitarbeitenden und verwende dort TA. Das ist ganz klar. Es ist mir wichtig, miteinander gute und wertschätzende Gespräche führen zu können. Mir geht es darum, dass ich nicht alles hinterfrage, sondern es ist mir wichtig, dass ich das, was die Mitarbeitenden im Laufe des Jahres geleistet haben, zu schätzen weiss und sie lobe. Ich komme nicht mit lauter Kritik, sondern versuche, mit den Menschen sachlich und auf Augenhöhe umzugehen. Die Emotionen haben dort keinen Platz für mich. Es geht um Wertschätzung, um Objektivität. Das Wissen über TA ist für mich oft ein wichtiger Punkt.

Es gibt verschiedene Modelle, die Führungskräfte dabei unterstützen, Mitarbeitende zu motivieren. Mit Metaphern ausgedrückt, gibt es den ,Pfeil‘-Manager, der den Mitarbeitenden Anweisungen gibt, den ,Kreis‘-Manager, der ihnen zuhört und kulturelle Aspekte innerhalb der Organisation hervorhebt und den ,Tanz‘-Manager, der auf die Ansichten der Mitarbeitenden eingeht, gut mit ihnen verhandelt und in der Lage ist, Verhalten zu antizipieren(22). Studien zeigen, dass bidirektionale Führungsstile wie der Kreis und Tanz am effektivsten sind, um das Engagement von Mitarbeitenden und ein positives Kommunikationsverhalten zu fördern(23). Ein Dialog im OK/OK-Modus unterstützt eine solche Zwei-Weg-Führung.
Schliesslich zeigte sich in verschiedenen Gesprächen, wie sich in der Fallstudien-Organisa­tion anfänglicher Widerstand gegen obligatorische TA-Schulungen im Laufe der Jahre aufgelöst und sich die Organisationskultur durch langfristige TA-Anwendung verändert hat. Dabei liegt der Fokus auf sorgsamem Umgang miteinander, Wertschätzung und Konfliktbewältigung. Annebeth, eine Teamleiterin, vertraute mir an, wie sie TA in ihrer Organisationseinheit heute erlebt.
Annebeth — Wir leben TA einfach. Bei uns ist es so, dass alle neuen Mitarbeitenden TA-Schulungen machen. Alle müssen es tun und ich merke, dass TA dabei irgendwie in Fleisch und Blut übergeht. Wir reden nicht mehr darüber, denn jeder weiss, dass es TA im Hintergrund gibt. Wir leben das.

Solche kulturell verankerten allgemeingültigen Annahmen müssen kritisch untersucht und ihre Legitimität in Frage gestellt werden(24). Ein zentraler Punkt dabei ist, wie der Übergang zwischen anfänglichem Widerstand und gegenwärtiger selbstverständlicher Übernahme stattgefunden hat und ob dieser Übergang durch ethisches Verhalten oder durch allfälligen Machtmissbrauch und Druck erreicht wurde. Die Fallstudien-Organisation wies eine Reihe von Massnahmen auf, welche einen ethischen Umgang mit Widerstand belegte, wie gegenseitiger Austausch bei Meinungsverschiedenheiten, die Freiwilligkeit des weiterführenden TA-Trainings und die zusätzliche Einführung des Lösungsorientierten Beratungsansatzes, um Mitarbeitenden eine Option zu TA zu bieten.
Für die erfolgreiche Anwendung von TA in einer Organisation braucht es gemäss den Leitungspersonen Mitarbeitende, welche eine humanistische Grundhaltung und Offenheit für persönliche Entwicklung mit sich bringen. Dies sind Themen, die bereits bei der Rekrutierung angesprochen werden sollten. Mitarbeitende ihrerseits nehmen das TA-Schulungsangebot insgesamt als Wertschätzung und ,Geschenk‘ wahr, wobei es ihnen wichtig ist, dass ihre Vorgesetzten ebenfalls regelmässig TA-Schulungen besuchen und nach den Grundsätzen der TA führen. Im Endeffekt scheint es die wertschätzende Haltung sich selber und anderen gegenüber sowie der respektvolle Umgang untereinander zu sein, welche den Unterschied zwischen dieser und vergleichbaren Organisationen ohne TA-Anwendung ausmachen.
Sozusagen, vom Ich zum Wir... zum Gesamten, ja, genau
Katherine, eine Personalberaterin, brachte im Interview die verschiedenen Dimensionen der Wirkung von TA auf den Punkt. Sie erklärte mir folgendes auf die Frage, was sie einer Organisation mitgeben würde, die keine TA hat und sich überlegt, allenfalls TA zu integrieren:
Katherine — Ja, also ich würde ihnen sagen, dass TA insofern eine gute Sache ist, weil sie einerseits Individuen weiterbringt, andererseits auch Auswirkungen aufs Teamverhalten hat und dass man in der täglichen Arbeit, im Umgang mit Menschen effizienter, gezielter und vielleicht auch direkter und ohne Umweg vorwärtskommen kann – und dass dies grundsätzlich eine Veränderung mit sich bringen kann. Denn eben: Jeder für sich, dann auch im Team und im Umgang mit allen Stakeholdern, mit welchen man zu tun hat. Sozusagen, vom Ich zum Wir... zum Gesamten, ja, genau.
Win-Win-Situation für Mitarbeitende und die Organisation
TA ist eine praxisorientierte Methode, die auf Wachstum und Entwicklung fokussiert ist und Menschen helfen kann, von einer destruktiven Lebenshaltung in ihre ursprüngliche ,Ich bin OK/Du bist OK‘-Position zurückzufinden(25). Eine solche OK/OK-Lebensgrundposition entspricht der Idee, dass mit TA die Organisation gewinnt und die Mitarbeitenden gewinnen: eine ,OK-Organisation‘ kümmert sich um die Bedürfnisse der Mitarbeitenden, ihre emotionale, körperliche und geistige Gesundheit, zwischenmenschliche Beziehungen und die Arbeitsatmosphäre. Die Mitarbeitenden profitieren von einer solchen Zusammenarbeit und sind im Gegenzug leistungsfähig, innovativ und motiviert.
Das dreidimensionale OK-Sein von Mountain und Davidson(26) ist hilfreich für die Analyse der internen Kommunikation in Teams und der Organisation als Ganzes. Die beste Ausgangslage ist geschaffen, wenn alle drei Dimensionen OK sind: Ich, Du und Sie. Bei einem Besuch der Fallstudien-Organisation stiess ich auf eine Türbeschriftung, welche den Nutzen der TA-Anwendung auf allen Kommunikationsebenen versinnbildlicht und die drei Dimensionen veranschaulicht. Es ist ein Magnetknopf und ein Plüschvogel an der Bürotür von Patrick, einem Personalberater (Abb. 2).

Patrick erklärte mir seine Bürotür folgendermassen: Jedes Mal, wenn er das Büro betritt, erinnert ihn der Vogel daran, sich auf das Positive zu konzentrieren und lösungsorientiert zu denken. Dabei bedeutet der Vogel für ihn Leichtigkeit auf der intrapersonellen Ebene des Selbst und ermahnt ihn, positiv zu bleiben, auch wenn Dinge schieflaufen. Die handschriftlich erstellten Symbole auf dem Magnetknopf fordern Patrick auf, selbstreflexive Momente zu nutzen. Die Kreise und Pfeile symbolisieren dabei die Ich-Zustände mit Fokus auf die Kommunikation im Erwachsenen-Ich und +/+ steht für die angestrebte konstruktive Lebensgrundposition. Die Anwendung der Ich-Zustände und Lebensgrundpositionen helfen Patrick, sich seines Denkens, Fühlens und Verhaltens bewusst zu werden, so dass er allenfalls Massnahmen ergreifen kann, wenn für ihn etwas nicht stimmt. Hinter dem Magnet steht zudem eine Abmachung im Team: Ist der Magnet an der Tür (und nicht am Türrahmen) befestigt, bedeutet dies, Patrick möchte ungestört sein.
Schliesslich verdeutlichen die Zeichen auf dem Magnet auch die gemeinsame TA-Sprache, welche Patrick in internen TA-Kursen gelernt hat und er in der Kommunikation mit seinen Berufskolleginnen und Vorgesetzten anwendet. Diese gemeinsame Sprache besteht aus TA-Vereinbarungen, welche Menschen mit TA-Hintergrund allgemein verstehen. Dieser Umgang mit TA ist in der Fallstudien-Organisation auch Teil der Strategie und Vision, welche den Menschen ins Zentrum setzt. Die gemeinsame TA-Sprache schliesst die humanistische Grundhaltung im Umgang mit ein. Insgesamt illustriert Abb. 2 den Fokus auf die Kommunikation auf Augenhöhe und auf ,Ich bin OK/Du bist OK‘, wobei eine Win-Win-Situation für die Mitarbeitenden und für die Organisation entsteht.
Nutzen von TA als humanistische Grundwerte eingebettet in die Organisationskultur
Die Auseinandersetzung mit TA in der internen Kommunikation zeigt in meiner Praxiserfahrung sowie der Forschungsarbeit ein dichtes und dynamisches Gewebe von Vereinbarungen, Prozessen, Systemen (funktional) und Beziehungen (bedeutungszentriert) auf allen Ebenen. In Changs(27) Worten ist das Ich stark mit dem Anderen verwoben und beide Konzepte ergeben zusammen, was wir unter Kultur verstehen; das Verständnis einer bestimmten Kultur hilft wiederum, ein Individuum zu begreifen.
Ein durch TA gestärktes Ich kann zwischenmenschliche Beziehungen positiv beeinflussen und die Grundlage für gemeinsame Werte schaffen. Dadurch können eine gemeinsame Sprache und Kultur als vereinbarte interne Kommunikationsgewohnheiten rund um die humanistischen Grundwerte des Menschen im Zentrum und ein gesundes Arbeitsplatzklima entstehen. Dies entspricht der Wirkung und dem Nutzen von TA für die interne Kommunikation eingebettet in die Organisationskultur.
Dank
Ein herzliches Dankeschön gilt der Fallstudien-Organisation und den Studienteilnehmenden.
Literatur
1. Chang, H. (2008). Autoethnography as method. Left Coast Press.
2. Kalla, H. K. (2005). Integrated internal communications: A multidisciplinary perspective. Corporate Communications: An International Journal, 10(4), 302-314.
3. Shockley-Zalabak, P. (2014). Fundamentals of organizational communication (8th ed.). Pearson.
4. Cheney, G., Christensen, L. T., Zorn, T. E., & Ganesh, S. (2011). Organizational communication in an age of globalization: Issues, reflections, practices (2nd ed.). Waveland Press.
5. Downs, C. W., & Adrian, A. D. (2004). Assessing organizational communication: Strategic communication audits. Guilford Press.
6. Murray, K. (2013). The language of leaders: How top CEOs communicate to inspire, influence and achieve results. Kogan Page Publishers.
7. Maier, M., Schneider, F. M., & Retzbach, A. (2012). Psychologie der internen Organisationskommunikation. Hogrefe Verlag.
8. Rogala, A., & Bialowas, S. (2016). Communication in organizational environments: Functions, determinants and areas of influence. Palgrave Macmillan.
9. Nowak, R. C. (2011). Transaktionsanalyse und Salutogenese (Vol. 2). Waxmann Verlag.
10. Berne, E. (1961). Transactional analysis in psychotherapy: A systematic individual and social psychiatry. Grove Press.
11. Harris, T. A. (1967). I’m OK, you’re OK: A practical guide to transactional analysis. Harper and Row.
12. Cornell, W. F., de Graaf, A., Newton, T., & Thunnissen, M. (Eds.). (2016). Into TA: A comprehensive textbook on transactional analysis. Karnac Books.
13. Ernst, F. H. (1971). Ok corral: The grid to get-on-with. Transactional Analysis Journal, 1(4), 231-240.
14. Hay, J. (1993). Working it out at work: Understanding attitudes and building relationships. Sherwood.
15. Mountain, A., & Davidson, C. (2011). Working together: Organizational transactional analysis and business performance. Gower Publishing.
16. Welch, M., & Jackson, P. R. (2007). Rethinking internal communication: A stakeholder approach. Corporate Communications: An International Journal, 12(2), 177-198.
17. Rogala, A., & Bialowas, S. (2016). Communication in organizational environments: Functions, determinants and areas of influence. Palgrave Macmillan.
18. Wuersch, L. (2020). Transactional analysis in organisations: A case study with a focus on internal communication. Doctor of Philosophy, Charles Sturt University. Bathurst, Australia.
19. Lindgren, K. P., Neighbors, C., Gasser, M. L., Ramirez, J. J., & Cvencek, D. (2017). A review of implicit and explicit substance self-concept as a predictor of alcohol and tobacco use and misuse. The American Journal of Drug and Alcohol Abuse, 43(3), 237-246.
20. DeVito, J. A. (2016). The interpersonal communication book (14th ed.). Pearson.
21. de Graaf, A. (2016). Working climate: The influence of the weather on the workplace. In W. F. Cornell, A. de Graaf, T. Newton, & M. Thunnissen (Eds.), Into TA: A comprehensive textbook on transactional analysis (pp. 343-348). Karnac Books.
22. Clampitt, P. G. (2013). Communicating for managerial effectiveness: Problems, strategies, solutions (5th ed.). Sage Publications.
23. Kang, M., & Sung, M. (2017). How symmetrical employee communication leads to employee engagement and positive employee communication behaviors: The mediation of employee-organization relationships. Journal of Communication Management, 21(1), 82-102.
24. L’Etang, J. (2005). Critical public relations: Some reflections. Public Relations Review, 31(4), 521-526.
25. Cornell, W. F., de Graaf, A., Newton, T., & Thunnissen, M. (Eds.). (2016). Into TA: A comprehensive textbook on transactional analysis. Karnac Books.
26. Mountain, A., & Davidson, C. (2011). Working together: Organizational transactional analysis and business performance. Gower Publishing.
27. Chang, H. (2008). Autoethnography as method. Left Coast Press.
* Die Namen aller Interview-Teilnehmenden sind Pseudonyme.
Dr Lucia Wuersch
PhD Communication
In Weiterbildung zur Transaktionsanalytikerin Organisation
Adjunct Lecturer and Researcher
School of Business | School of Information and Communication
Charles Sturt University, Bathurst NSW, Australia
lwuersch@csu.edu.au


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Strukturelle Paar- und
Familienberatung und
TransaktionsanalyseBevor ich die TA kennen lernte, habe ich mich am 2-jährigen Lehrgang an der Schule für Soziale Arbeit in Zürich in systemischer Beratung weitergebildet. Später wurde mir bald einmal bewusst, wie sich die beiden Lehren wunderbar ergänzen.

Die klassischen transaktionsanalytischen Modelle orientieren sich an der Primärfamilie, aus der im Individuum Grundüberzeugungen über sich selbst, die andern und das Leben schlechthin wachsen und mit in die Gegenwart wirken. Und diese Gegenwartsrealität kann ich in der Beratung mit Paaren und Familien direkt miterleben. Die Systemische Paar- und Familienberatung ist daher gegenwartsbezogen. Anhand des Funktionsmodells kann ich die Transaktionen beobachten und unmittelbar eingreifen.

Berne beschrieb bei der Gruppenstruktur die Hauptgrenzlinie (zwischen der Gruppe und der Aussenwelt) und die Nebengrenzlinien (Grenzen zwischen den Gruppenmitgliedern). Er unterscheidet einfache und komplexe Gruppenstrukturen.
Die Familie ist auch eine Gruppe, und man kann die Konzepte der Gruppenstrukturen von Berne übernehmen. Eine einfache Struktur wäre Eltern und Kinder, eine komplexe Struktur wäre zum Beispiel: Vater, Stiefmutter, Kinder der Stiefmutter und Kinder vom Vater.
Hierarchie - dieser Begriff ist leider oft sehr negativ besetzt. Das hat mit eigenen negativ erlebten Erfahrungen zu tun. In Wirklichkeit beschreibt die Hierarchie Verantwortlichkeiten der Rollen und dient der Sicherheit. In familiären Strukturen sind funktionale Hierarchien von grosser Bedeutung. Es ist einleuchtend, dass die Eltern die meiste Verantwortung tragen.
Anhand eines Beispiels aus meiner Praxis möchte ich aufzeigen, wie sich der Prozess vom Ich zum Wir bewegt, wie sich systemische Konzepte und TA ergänzen, wie sich dysfunktionale Gruppenstrukturen in Familien auswirken können und wie sie sich verändern lassen.

Die Familie XY (Ich nenne den Vater Bruno, die Mutter Ruth, den Sohn Willi)

Erstkontakt mit Bruno
Bruno meldete sich telefonisch; er habe Probleme mit seiner Frau und möchte ein Gespräch. Auf die Frage, ob er seine Frau zum Gespräch nicht mitnehmen wolle, antwortete er, nein, er wolle vorerst lieber allein kommen. Wir vereinbarten ein erstes Gespräch.

Erstgespräch mit Bruno
Bruno erzählte mir: wie seine Frau ihn überhaupt nicht mehr verstehe, wie misstrauisch sie sei und dass sie ihn immer wieder mit Vorwürfen überhäufe. Neulich habe er etwas zu viel getrunken und sich dann entschlossen, auf dem Parkplatz vor einem Restaurant im Auto zu übernachten. Zu Hause habe er dies erklärt, schliesslich sei das ja besser als alkoholisiert zu fahren, das habe ihm seine Frau aber nicht geglaubt. Sie habe angenommen, dass er bei einer anderen Frau war, und schon hätte es wieder Streit gegeben. Dauernd diese Streitigkeiten halte er nicht mehr aus, er gehe jeweils wieder weg und lasse sich dann tagelang nicht mehr blicken. Auch der Sohn, den seine Frau mit in die Ehe brachte, mache ihm Schwierigkeiten, er mache was er wolle, und er als Vater habe überhaupt nichts zu sagen. Ich erklärte mich für eine Beratung bereit, wenn er mit seiner Frau komme und gab ihm meine Unterlagen, um dies mit der Frau zu besprechen. Wir vereinbarten, dass er sich wieder meldet, wenn er diese Angelegenheit mit seiner Frau besprochen hat.
Hypothesenbildung
Es sind strukturelle Probleme vorhanden, wie sie in Stieffamilien gehäuft auftreten. Nämlich, dass zwischen dem leiblichen Elternteil und dem Kind eine symbiotische Beziehung zustande kommt, aus der sich oft eine Koalition gegen den Stiefelternteil bildet. Bruno hat massive Alkoholprobleme entwickelt. Das Aufrechterhalten der Alkoholspiele dient dazu, in der Passivität zu bleiben, anstatt Lösungen zu suchen. Die Vermeidungsstrategien dienen möglicherweise allen Familienmitgliedern und erhalten den Status Quo des familiären Systems, was auch heisst, dass jedes Familienmitglied seine Skriptüberzeugungen nährt und verfestigt.

Erstes Beratungsgespräch mit Ehepaar XY
Ich nahm mir für das 1. Gespräch vor, Vertragsarbeit zu machen und meine Hypothesen zu überprüfen. Ruth erweckte einen sehr misstrauischen Eindruck, vorauf ich sie ansprach. Sie erklärte, dass sie nicht mehr daran glaube, dass ihr Mann wirklich etwas verändern wolle, vielmehr sehe sie in seiner Motivation, in die Beratung zu kommen, eine Alibiübung. Sie habe bereits zum zweiten Mal die Scheidung eingereicht und da habe er jeweils versprochen sich zu ändern, es seien aber leere Versprechungen gewesen, die nur so lange anhielten, bis sie die Scheidung wieder zurückzog. Sie beklagte, dass der Mann zu viel trinke, manchmal tagelang nicht nach Hause käme, und dass sie nur noch Ekel für ihn empfinde.

Kommentar (Einladung zum Gerichtssaalspiel)
Es wurde mir in diesem Gespräch immer unwohler und ich denke, dass dies mit Spieleinladungen an mich zu tun hatte. Es bahnte sich allmählich ein Gerichtssaalspiel an.
Da beide Partner mit der Überzeugung kommen, dass ihre Problemdefinition die richtige sei, versuchen beide, den Berater für sich zu gewinnen und eben als Richter einzuspannen. Ich will nun versuchen, anhand einer kurzen Sequenz von Transaktionen darzustellen, wie Einladungen, in das Gerichtssaalspiel einzusteigen, an mich gerichtet wurden.

(Transaktion 1) Berater zum Bruno: "Ja, hockst du denn in den Beizen rum, weil du es zu Hause nicht schön hast?"

(Transaktion 2) Bruno zum Berater: "Was soll ich sagen, ......ich will dem Streiten ausweichen, ich mag nicht streiten, und......"

(Transaktion 3) Ruth zum Bruno: "Also weisst du, du musst es nicht so hinstellen. Dir ist es dann einfach egal".

(Transaktion 4) Ruth zum Berater: "Ihm ist dann alles egal, er geht dann nicht nur nicht heim, sondern geht dann auch nicht mehr zur Arbeit."

(Transaktion 5) Bruno zu Ruth: "Ich war schon am Arbeiten, ich war nur nicht im Büro, denn bei mir spielt es keine Rolle, ob ich im Büro bin oder nicht, da war ich eben auswärts auf einer Baustelle.»

(Transaktion 6) Ruth zum Bruno: "Erzähl doch keinen Unsinn, ich habe nämlich mit Y gesprochen, und ich weiss genau, dass Du nicht gearbeitet hast."

(Transaktion 7) Bruno, die Hände verwerfend an Berater: "Das ist wieder so etwas, das ist etwas, das mich rasend macht, wenn sie sagt ich hätte nicht gearbeitet. Ich habe nämlich immer 3-4 Baustellen zu betreuen, und sie kann ja gar nicht wissen, welche ich besuche. Ich weiss doch selbst, was ich tue. Auch wenn sie manchmal etwas felsenfest behauptet, das sie gar nicht wissen kann, dann bekommen wir zum Beispiel Streit, nur weil sie von ihrer Sicht dermassen überzeugt ist. Dann müsste ich im Prinzip lügen nur damit es nicht Streit gibt. Das ist etwas, was ich nicht begreife".

Kommentar
In der Transaktion 4 sprach mich Ruth auf der Eltern-Ich-Ebene an was eine ähnliche Atmosphäre ergab, wie wenn eine Mutter mit dem Berater über ihren unartigen Jungen spricht. Dadurch wollte sie mir zeigen, dass der Mann das Problem sei. Sie versuchte mich als Richter einzuladen, mich mit ihr gegen ihn zu verbünden. In Transaktion 7 versuchte auch Bruno, mich in die Rolle des Richters einzuladen.
An dieser Stelle möchte ich auf den Begriff «Allparteilichkeit» eingehen.

Allparteilichkeit
Die Arbeit mit Paaren und Familien braucht viel Geschick. Der Berater/die Beraterin muss darauf achten, nicht Partei zu werden. Das heisst, der Berater sollte für alle Teilnehmenden Partei sein und sich in die Bezugsrahmen der Einzelnen einfühlen Die marsische Haltung (Ich komme vom Mars und weiss nicht, was die Menschen hier tun) ist sehr hilfreich, dass sich alle verstanden und gehört erleben. Wenn der Berater Partei nimmt für eine Seite, dann muss er für einen guten Ausgleich sorgen. Gelingt dies nicht, wird die Beratung bald einmal von der Person abgebrochen, die sich nicht genug gesehen fühlt.

Der harte Vertrag mit Ehepaar XY
Es zeigte sich im Verlauf des Gesprächs, dass auch Ruth dazu neigte, in schlechten Stimmungen zu trinken. Wir konnten die Abmachung eingehen, dass beide in den nächsten Wochen ganz auf Alkohol verzichten. Der Vertrag 0,0-Alkoholkonsum für beide war wichtig, damit die Alkoholspiele unterbrochen wurden. Der Nutzen dieser Alkoholspiele war die Vermeidung, andere Problemkreise zu betrachten. Wir konnten den 0,0-Vertrag immer wieder erneuern und er wurde meines Erachtens eingehalten. So konnten wir vereinbaren, dass beide Partner nach unerledigten Geschichten suchten, sie aufschrieben und in je einen Briefumschlag versorgten. Diese unerledigten-Geschichten-Umschläge wurden dann nach Prioritäten nummeriert und jeweils an die Sitzungen mitgenommen. Auf diese Weise konnten wir allmählich auf die unter den Alkoholspielen verborgenen Problemkreise kommen.
Entscheidend wichtig war auch, dass das Paar während 30 Stunden an einer TA-Selbsterfahrungsgruppe teilnahm und dort an individuellen und Paar-Themen arbeitete.

Lebensgeschichtlicher Hintergrund von Ruth
Ruth ist 33 Jahre alt. Sie wurde als Älteste von 3 Kindern geboren und musste sehr früh Verantwortung für die jüngeren Geschwister übernehmen. Die Eltern betrieben zusammen ein kleines Geschäft und konnten daher wenig Zeit für die Kinder aufbringen. Ruth konnte sich erinnern, dass sie von der Mutter auch immer wieder den Leuten vorgezeigt wurde, wie vernünftig, verantwortungsbewusst und vorbildlich sie doch sei. Mit 15 Jahren wurde sie schwanger und gebar einen Sohn. Dieses Erlebnis war für sie sehr einschneidend. Sie wurde von der Schule verwiesen und kann noch heute die verurteilenden Blicke gefühlsmässig erinnern. Als sie 16 Jahre alt war, erlebte sie die Scheidung ihrer Eltern. Loyalitätskonflikte kamen nun noch dazu. Sie war auf die Mutter angewiesen, die, während sie einer Arbeit nachging, zum kleinen Sohn schaute. Beide Eltern benutzten sie, um sich gegenseitig gegeneinander auszuspielen. Mit all ihren Ängsten und Nöten fühlte sie sich allein und unverstanden. Aus dem vorbildlichen kleinen Mädchen, das allzu früh erwachsenen sein musste, entwickelte sich eine ängstliche, unsichere junge Frau, die es vermied, unter Leute zu gehen, da sie deren vermeintlich verurteilenden Blicken ausweichen wollte.

Skriptüberzeugungen: Das Leben ist hart, mir steht nichts zu, ich muss nur für die anderen da sein. Ruth sagte an einer Sitzung: "Was hatte ich bis jetzt schon vom Leben? Ich musste vor allem Verantwortung tragen, für andere da sein. Lohnt es sich überhaupt?" Vor einigen Jahren machte sie einen Suizidversuch mit Tabletten.

Lebensgeschichtlicher Hintergrund von Bruno
Bruno ist 43 Jahre alt. Er ist das 5. Kind von insgesamt 8 Kindern. Ausserdem ist er das 1. Kind von der zweiten Frau (komplexe Familienstruktur). In der grossen Familie, die einen kleinen Bauernhof bewirtschaftete, gehörten finanzielle Probleme zum Alltag. Der Vater griff oft zur Flasche, wenn er nicht mehr über den Berg sah. Über Probleme wurde aber nicht gesprochen. Die Beziehungen waren funktional und distanziert, eher eine Zweckgemeinschaft. Es stand viel Arbeit an und man musste zupacken.

Skriptüberzeugungen: Das Leben besteht aus Arbeit und ich muss schauen, dass ich den Mann stelle, ich darf keine Schwäche zeigen. Der Terminkalender muss stets überfüllt sein.
Tatsächlich kommt es oft vor, dass Bruno morgens bereits um 3.00 Uhr in den Betrieb fährt. Tagsüber ist er dann mit seinen Terminen voll ausgelastet und am Abend schläft er ein, kaum ist er zu Hause.

Beziehung von Bruno zu seinem Stiefsohn Willi: Die beiden gingen sich aus dem Weg, wenn immer es möglich war. Wenn Bruno zu Hause war, suchte Willi das Weite und umgekehrt. An den Wochenenden war Willi meist weg und nicht selten kam er betrunken nach Hause.

Kommentar und Hypothese
Weil ich es in Stieffamilien oft erlebe, dass der leibliche Elternteil eine Koalition mit dem Kind eingeht, was zu massiven Symptomen bei allen Beteiligten führen kann, schlug ich ein erstes Familiengespräch vor. Im Weiteren bildete ich mir anhand der Geschichte von Ruth die Hypothese, dass es sich bei der Beziehungsstruktur zwischen Sohn und Mutter um eine Symbiose 2. Ordnung handeln könnte. Diese Hypothese wollte ich überprüfen.


artikeljanuar2022

Strukturelle Paar- und Familienberatung und Transaktionsanalyse

© Jürg Grundlehner
Autor: Jürg Grundlehner | Bevor ich die TA kennen lernte, habe ich mich am 2-jährigen Lehrgang an der Schule für Soziale Arbeit in Zürich in systemischer Beratung weitergebildet. Später wurde mir bald einmal bewusst, wie sich die beiden Lehren wunderbar ergänzen.

Die klassischen transaktionsanalytischen Modelle orientieren sich an der Primärfamilie, aus der im Individuum Grundüberzeugungen über sich selbst, die andern und das Leben schlechthin wachsen und mit in die Gegenwart wirken. Und diese Gegenwartsrealität kann ich in der Beratung mit Paaren und Familien direkt miterleben. Die Systemische Paar- und Familienberatung ist daher gegenwartsbezogen. Anhand des Funktionsmodells kann ich die Transaktionen beobachten und unmittelbar eingreifen.

Berne beschrieb bei der Gruppenstruktur die Hauptgrenzlinie (zwischen der Gruppe und der Aussenwelt) und die Nebengrenzlinien (Grenzen zwischen den Gruppenmitgliedern). Er unterscheidet einfache und komplexe Gruppenstrukturen.
Die Familie ist auch eine Gruppe, und man kann die Konzepte der Gruppenstrukturen von Berne übernehmen. Eine einfache Struktur wäre Eltern und Kinder, eine komplexe Struktur wäre zum Beispiel: Vater, Stiefmutter, Kinder der Stiefmutter und Kinder vom Vater.
Hierarchie - dieser Begriff ist leider oft sehr negativ besetzt. Das hat mit eigenen negativ erlebten Erfahrungen zu tun. In Wirklichkeit beschreibt die Hierarchie Verantwortlichkeiten der Rollen und dient der Sicherheit. In familiären Strukturen sind funktionale Hierarchien von grosser Bedeutung. Es ist einleuchtend, dass die Eltern die meiste Verantwortung tragen.
Symbiose 2. Ordnung (---) bedeutet in dieser Familie: es wird versucht, Bedürfnisse der Mutter aus ihrer frühen Kindheit zu befriedigen, welche durch ihre damaligen Skriptbeschlüsse ausgeschlossen wurden. Der Sohn befriedigt also die frühen emotionalen Bedürfnisse der Mutter:
Anhand eines Beispiels aus meiner Praxis möchte ich aufzeigen, wie sich der Prozess vom Ich zum Wir bewegt, wie sich systemische Konzepte und TA ergänzen, wie sich dysfunktionale Gruppenstrukturen in Familien auswirken können und wie sie sich verändern lassen.
Die Familie XY
(Ich nenne den Vater Bruno, die Mutter Ruth, den Sohn Willi)


Erstkontakt mit Bruno
Bruno meldete sich telefonisch; er habe Probleme mit seiner Frau und möchte ein Gespräch. Auf die Frage, ob er seine Frau zum Gespräch nicht mitnehmen wolle, antwortete er, nein, er wolle vorerst lieber allein kommen. Wir vereinbarten ein erstes Gespräch.

Erstgespräch mit Bruno
Bruno erzählte mir: wie seine Frau ihn überhaupt nicht mehr verstehe, wie misstrauisch sie sei und dass sie ihn immer wieder mit Vorwürfen überhäufe. Neulich habe er etwas zu viel getrunken und sich dann entschlossen, auf dem Parkplatz vor einem Restaurant im Auto zu übernachten. Zu Hause habe er dies erklärt, schliesslich sei das ja besser als alkoholisiert zu fahren, das habe ihm seine Frau aber nicht geglaubt. Sie habe angenommen, dass er bei einer anderen Frau war, und schon hätte es wieder Streit gegeben. Dauernd diese Streitigkeiten halte er nicht mehr aus, er gehe jeweils wieder weg und lasse sich dann tagelang nicht mehr blicken. Auch der Sohn, den seine Frau mit in die Ehe brachte, mache ihm Schwierigkeiten, er mache was er wolle, und er als Vater habe überhaupt nichts zu sagen. Ich erklärte mich für eine Beratung bereit, wenn er mit seiner Frau komme und gab ihm meine Unterlagen, um dies mit der Frau zu besprechen. Wir vereinbarten, dass er sich wieder meldet, wenn er diese Angelegenheit mit seiner Frau besprochen hat.

Hypothesenbildung
Es sind strukturelle Probleme vorhanden, wie sie in Stieffamilien gehäuft auftreten. Nämlich, dass zwischen dem leiblichen Elternteil und dem Kind eine symbiotische Beziehung zustande kommt, aus der sich oft eine Koalition gegen den Stiefelternteil bildet. Bruno hat massive Alkoholprobleme entwickelt. Das Aufrechterhalten der Alkoholspiele dient dazu, in der Passivität zu bleiben, anstatt Lösungen zu suchen. Die Vermeidungsstrategien dienen möglicherweise allen Familienmitgliedern und erhalten den Status Quo des familiären Systems, was auch heisst, dass jedes Familienmitglied seine Skriptüberzeugungen nährt und verfestigt.

Erstes Beratungsgespräch mit Ehepaar XY
Ich nahm mir für das 1. Gespräch vor, Vertragsarbeit zu machen und meine Hypothesen zu überprüfen. Ruth erweckte einen sehr misstrauischen Eindruck, vorauf ich sie ansprach. Sie erklärte, dass sie nicht mehr daran glaube, dass ihr Mann wirklich etwas verändern wolle, vielmehr sehe sie in seiner Motivation, in die Beratung zu kommen, eine Alibiübung. Sie habe bereits zum zweiten Mal die Scheidung eingereicht und da habe er jeweils versprochen sich zu ändern, es seien aber leere Versprechungen gewesen, die nur so lange anhielten, bis sie die Scheidung wieder zurückzog. Sie beklagte, dass der Mann zu viel trinke, manchmal tagelang nicht nach Hause käme, und dass sie nur noch Ekel für ihn empfinde.

Kommentar (Einladung zum Gerichtssaalspiel)
Es wurde mir in diesem Gespräch immer unwohler und ich denke, dass dies mit Spieleinladungen an mich zu tun hatte. Es bahnte sich allmählich ein Gerichtssaalspiel an.
Da beide Partner mit der Überzeugung kommen, dass ihre Problemdefinition die richtige sei, versuchen beide, den Berater für sich zu gewinnen und eben als Richter einzuspannen. Ich will nun versuchen, anhand einer kurzen Sequenz von Transaktionen darzustellen, wie Einladungen, in das Gerichtssaalspiel einzusteigen, an mich gerichtet wurden.

(Transaktion 1) Berater zum Bruno: "Ja, hockst du denn in den Beizen rum, weil du es zu Hause nicht schön hast?"

(Transaktion 2) Bruno zum Berater: "Was soll ich sagen, ......ich will dem Streiten ausweichen, ich mag nicht streiten, und......"

(Transaktion 3) Ruth zum Bruno: "Also weisst du, du musst es nicht so hinstellen. Dir ist es dann einfach egal".

(Transaktion 4) Ruth zum Berater: "Ihm ist dann alles egal, er geht dann nicht nur nicht heim, sondern geht dann auch nicht mehr zur Arbeit."

(Transaktion 5) Bruno zu Ruth: "Ich war schon am Arbeiten, ich war nur nicht im Büro, denn bei mir spielt es keine Rolle, ob ich im Büro bin oder nicht, da war ich eben auswärts auf einer Baustelle."

(Transaktion 6) Ruth zum Bruno: "Erzähl doch keinen Unsinn, ich habe nämlich mit Y gesprochen, und ich weiss genau, dass Du nicht gearbeitet hast."

(Transaktion 7) Bruno, die Hände verwerfend an Berater: "Das ist wieder so etwas, das ist etwas, das mich rasend macht, wenn sie sagt ich hätte nicht gearbeitet. Ich habe nämlich immer 3-4 Baustellen zu betreuen, und sie kann ja gar nicht wissen, welche ich besuche. Ich weiss doch selbst, was ich tue. Auch wenn sie manchmal etwas felsenfest behauptet, das sie gar nicht wissen kann, dann bekommen wir zum Beispiel Streit, nur weil sie von ihrer Sicht dermassen überzeugt ist. Dann müsste ich im Prinzip lügen nur damit es nicht Streit gibt. Das ist etwas, was ich nicht begreife."

Kommentar
In der Transaktion 4 sprach mich Ruth auf der Eltern-Ich-Ebene an was eine ähnliche Atmosphäre ergab, wie wenn eine Mutter mit dem Berater über ihren unartigen Jungen spricht. Dadurch wollte sie mir zeigen, dass der Mann das Problem sei. Sie versuchte mich als Richter einzuladen, mich mit ihr gegen ihn zu verbünden. In Transaktion 7 versuchte auch Bruno, mich in die Rolle des Richters einzuladen.
An dieser Stelle möchte ich auf den Begriff «Allparteilichkeit» eingehen.

Allparteilichkeit
Die Arbeit mit Paaren und Familien braucht viel Geschick. Der Berater/die Beraterin muss darauf achten, nicht Partei zu werden. Das heisst, der Berater sollte für alle Teilnehmenden Partei sein und sich in die Bezugsrahmen der Einzelnen einfühlen Die marsische Haltung (Ich komme vom Mars und weiss nicht, was die Menschen hier tun) ist sehr hilfreich, dass sich alle verstanden und gehört erleben. Wenn der Berater Partei nimmt für eine Seite, dann muss er für einen guten Ausgleich sorgen. Gelingt dies nicht, wird die Beratung bald einmal von der Person abgebrochen, die sich nicht genug gesehen fühlt.

Der harte Vertrag mit Ehepaar XY
Es zeigte sich im Verlauf des Gesprächs, dass auch Ruth dazu neigte, in schlechten Stimmungen zu trinken. Wir konnten die Abmachung eingehen, dass beide in den nächsten Wochen ganz auf Alkohol verzichten. Der Vertrag 0,0-Alkoholkonsum für beide war wichtig, damit die Alkoholspiele unterbrochen wurden. Der Nutzen dieser Alkoholspiele war die Vermeidung, andere Problemkreise zu betrachten. Wir konnten den 0,0-Vertrag immer wieder erneuern und er wurde meines Erachtens eingehalten. So konnten wir vereinbaren, dass beide Partner nach unerledigten Geschichten suchten, sie aufschrieben und in je einen Briefumschlag versorgten. Diese unerledigten-Geschichten-Umschläge wurden dann nach Prioritäten nummeriert und jeweils an die Sitzungen mitgenommen. Auf diese Weise konnten wir allmählich auf die unter den Alkoholspielen verborgenen Problemkreise kommen.
Entscheidend wichtig war auch, dass das Paar während 30 Stunden an einer TA-Selbsterfahrungsgruppe teilnahm und dort an individuellen und Paar-Themen arbeitete.

Lebensgeschichtlicher Hintergrund von Ruth
Ruth ist 33 Jahre alt. Sie wurde als Älteste von 3 Kindern geboren und musste sehr früh Verantwortung für die jüngeren Geschwister übernehmen. Die Eltern betrieben zusammen ein kleines Geschäft und konnten daher wenig Zeit für die Kinder aufbringen. Ruth konnte sich erinnern, dass sie von der Mutter auch immer wieder den Leuten vorgezeigt wurde, wie vernünftig, verantwortungsbewusst und vorbildlich sie doch sei. Mit 15 Jahren wurde sie schwanger und gebar einen Sohn. Dieses Erlebnis war für sie sehr einschneidend. Sie wurde von der Schule verwiesen und kann noch heute die verurteilenden Blicke gefühlsmässig erinnern. Als sie 16 Jahre alt war, erlebte sie die Scheidung ihrer Eltern. Loyalitätskonflikte kamen nun noch dazu. Sie war auf die Mutter angewiesen, die, während sie einer Arbeit nachging, zum kleinen Sohn schaute. Beide Eltern benutzten sie, um sich gegenseitig gegeneinander auszuspielen. Mit all ihren Ängsten und Nöten fühlte sie sich allein und unverstanden. Aus dem vorbildlichen kleinen Mädchen, das allzu früh erwachsenen sein musste, entwickelte sich eine ängstliche, unsichere junge Frau, die es vermied, unter Leute zu gehen, da sie deren vermeintlich verurteilenden Blicken ausweichen wollte.

Skriptüberzeugungen: Das Leben ist hart, mir steht nichts zu, ich muss nur für die anderen da sein. Ruth sagte an einer Sitzung: "Was hatte ich bis jetzt schon vom Leben? Ich musste vor allem Verantwortung tragen, für andere da sein. Lohnt es sich überhaupt?" Vor einigen Jahren machte sie einen Suizidversuch mit Tabletten.
Lebensgeschichtlicher Hintergrund von Bruno
Bruno ist 43 Jahre alt. Er ist das 5. Kind von insgesamt 8 Kindern. Ausserdem ist er das 1. Kind von der zweiten Frau (komplexe Familienstruktur). In der grossen Familie, die einen kleinen Bauernhof bewirtschaftete, gehörten finanzielle Probleme zum Alltag. Der Vater griff oft zur Flasche, wenn er nicht mehr über den Berg sah. Über Probleme wurde aber nicht gesprochen. Die Beziehungen waren funktional und distanziert, eher eine Zweckgemeinschaft. Es stand viel Arbeit an und man musste zupacken.

Skriptüberzeugungen: Das Leben besteht aus Arbeit und ich muss schauen, dass ich den Mann stelle, ich darf keine Schwäche zeigen. Der Terminkalender muss stets überfüllt sein.
Tatsächlich kommt es oft vor, dass Bruno morgens bereits um 3.00 Uhr in den Betrieb fährt. Tagsüber ist er dann mit seinen Terminen voll ausgelastet und am Abend schläft er ein, kaum ist er zu Hause.

Beziehung von Bruno zu seinem Stiefsohn Willi: Die beiden gingen sich aus dem Weg, wenn immer es möglich war. Wenn Bruno zu Hause war, suchte Willi das Weite und umgekehrt. An den Wochenenden war Willi meist weg und nicht selten kam er betrunken nach Hause.

Kommentar und Hypothese
Weil ich es in Stieffamilien oft erlebe, dass der leibliche Elternteil eine Koalition mit dem Kind eingeht, was zu massiven Symptomen bei allen Beteiligten führen kann, schlug ich ein erstes Familiengespräch vor. Im Weiteren bildete ich mir anhand der Geschichte von Ruth die Hypothese, dass es sich bei der Beziehungsstruktur zwischen Sohn und Mutter um eine Symbiose 2. Ordnung handeln könnte. Diese Hypothese wollte ich überprüfen.
Beispiele aus zwei Familiengesprächen mit Familie XY


Mit folgenden zwei Beispielen möchte ich zeigen, dass meine Hypothesen zutrafen. Gleichzeitig lässt sich daraus erkennen, wie ich mit Familien, deren familiäre Struktur dysfunktional ist, arbeite.

Erstes Beispiel
Berater zum Willi: "Du hast gesagt, es seien Spannungen in der Familie wegen deinem Zeugnis und wegen deinen Ausgängen."

Willi zum Berater: "Aber nicht nur wegen mir, nicht nur wegen mir sind Spannungen da."

Berater zum Willi: "Meinst du, es sind auch Spannungen zwischen Mutter und Vater?"

Willi zum Berater: "Vor allem, die Spannungen zwischen ihnen sind viel grösser."

Berater zu den Eltern: "Ist die Einschätzung von Willi richtig?"

Ruth zum Berater: "Von mir aus gesehen schon."

Bruno zum Berater: "Ich sehe es auch so."

Berater zum Paar: "Wenn die Spannungen euch als Ehepartner betreffen, dann gehören sie in die Paarberatung."

Eltern zum Berater: "Ja, sie betreffen uns als Paar und der Willi hat daran keine Schuld."

Berater zum Willi: "Also die Schwierigkeiten, die deine Eltern als Ehepartner haben, werden wir in der Paarberatung bearbeiten, du hast nichts damit zu tun. Du bist allenfalls von der Stimmung betroffen, die dann zu Hause herrscht."

Willi zu Berater: "Ja, und diese ist gegenwärtig sehr aggressiv."

Kommentar
Es ist wichtig die Ebene Paarbeziehung von der Ebene Familie abzugrenzen. Diese Interventionen sollten auch eine gewisse Modellfunktion aufweisen. Es soll deutlich werden, dass es zwischen Subsystemen Grenzen gibt, die zu beachten sind. Symptombildung der Familienmitglieder haben oft mit dem Nichtbeachten dieser Grenzen zu tun.

Zweites Beispiel
Willi zur Mutter: "Ja gut, ich bringe mal ein Beispiel: wenn es dir zum Beispiel schlecht geht, und das kommt oft vor, dass es dir schlecht geht, meistens ist er weg und du sitzt zu Hause und es geht dir schlecht, trinkst ein Glas Wein und bist wirklich am Boden zerstört, dann komme ich zu dir und frage, was ist. Dann haben wir jeweils auch 2-stündige Gespräche miteinander und ich gehe auf dich ein, oder?"

Mutter zum Willi: "Ja, aber dann habe ich dir jeweils einfach mein Herz ausgeschüttet, und da kannst du sehr gut auf mich eingehen."

Berater zum Willi: "Du gehst dann auf deine Mutter ein, wenn es ihr schlecht geht, wenn sie den "Moralischen" hat, wenn sie das Bedürfnis hat, ihr Herz auszuschütten?"

Willi zum Berater: "Ja, ......den "Moralischen" hat sie ziemlich oft, das ist nicht so schlimm, aber wenn das passiert, dass sie bei mir das Herz ausschüttet, dann ist etwas passiert."

Berater zum Willi: "Warum denkst du, geht deine Mutter, wenn sie das Herz ausschütten will, nicht zu deinem Vater?"

Willi zum Berater: "Ich sage ihr das manchmal, sie solle zu ihm gehen aber, ich weiss auch nicht, da sagt sie, sie könne das nicht."

Berater zur Familie: "Was ist denn mit dem Vater?"

Bruno zum Berater: "Wenn sie den "Moralischen" hat ist es wahrscheinlich dann, wenn ich herum hocke, dann kann sie ja nicht mit mir reden, wenn ich nicht da bin. Dann führen wir meistens 2 Tage später ein Gespräch, oder?"

Ruth zum Bruno: "Nein, wir sprechen nicht miteinander, wir streiten miteinander und dann irgendwann gibt es wieder Frieden und dann sprechen wir nicht mehr darüber, so ist es."

Berater zum Willi: "Ich denke schon, dass die Partner die Verantwortung übernehmen sollten, wenn sie Schwierigkeiten und Krisen zu bewältigen haben. Sie haben sich ja auch als Partner gewählt."

Willi zum Berater: "Ja für mich ist es manchmal schwierig, wenn sie mir Sachen über ihn anvertraut und ich sage ja, ja und höre zu, denke, jetzt darfst du ja nichts sagen, auch wenn ich es anders sehe. Am anderen Morgen fühle ich mich dann sehr unbehaglich, wenn ich ihm begegne, da weiss ich kaum, wie ich mich verhalten soll. Wenn sie auch noch anwesend ist, habe ich immer das Gefühl, sie erwarte von mir, ich sollte jetzt etwas Wichtiges sagen."

Berater zum Willi: "Du kommst in eine schwierige Rolle, die dir eigentlich gar nicht zusteht."

Ruth zu Willi: "Also ich habe von dir nie erwartet, dass du etwas zu ihm sagst."

Willi zur Mutter: "Nein, weisst du, wenn du wütend bist über ihn, dann machst du ihn ziemlich schlecht, und dann, wenn ich ihm begegne, und ich habe dir vielleicht recht gegeben, ihm kann ich dann nicht mehr in die Augen schauen, weil ich dir recht gegeben habe und ihm nicht, weil ich mit ihm trotzdem anständig bin und nicht irgendwie reagiere."

Mutter: "Aha!"

Berater zum Willi: "Es entsteht eine gefühlsmässige Verbindung zwischen dir und deiner Mutter, die sich gegen den Vater richtet, und das bringt dich in eine schwierige Situation. Darum glaube ich, dass du dort am falschen Platz bist."

Willi zum Berater: "Schon, aber ich finde es trotzdem wichtig, denn da sind wahnsinnige Spannungen im Haus, die kann ich dann etwas lindern."

Berater zu den Eltern: "Wie ist das für euch, wenn ihr jetzt hört, wie es Willi geht?"

Bruno zum Berater: "Das habe ich gar nicht gewusst, dass das in diesem Rahmen stattfindet."

Ruth zum Berater: "Das habe ich mir gar nicht überlegt, dass er zwischen Stuhl und Bank sitzt, aber jetzt wo er das so sagt, verstehe ich das."

Berater zu Ruth: "Dazu sind sicher Gespräche notwendig, denn viele Dinge werden uns nicht bewusst, wenn wir uns nicht mitteilen."

Berater zum Bruno "Und du hörst das zum ersten Mal?"

Bruno zum Berater: "Ja, dass das in diesem Ausmass stattfand, das war mir nicht bewusst."

Ruth zum Bruno: "Also, dass ich ihm oft mein Herz ausschüttete, und er mich viel unterstützte, das solltest du eigentlich wissen, habe ich dir schon oft gesagt, aber du hörst mir ja nicht zu."

Bruno zu Ruth: "Dass ihr miteinander redet über mich, das habe ich schon gewusst, aber dass er in eine Situation kommt, dass er mir fast nicht mehr in die Augen schauen kann, das habe ich nicht gewusst."

Berater zu den Eltern: "Also es scheint besonders wichtig, dass ihr die Schwierigkeiten der Paarbeziehung bearbeitet. Sonst wird eben euer Sohn in den Paarkonflikt mit hineingezogen und die familiäre Ordnung steht auf dem Kopf."

Willi zum Berater: "Es ist nicht so, dass es für mich so eine riesige Belastung ist, wenn ich meine Mutter tröste, ich mache dies ja von mir aus, gehe auf sie zu und frage, was hast du denn."

Berater zum Willi: "Das glaube ich dir schon, es ist ja sogar möglich, dass du auch ein wenig stolz bist auf diese Rolle, und trotzdem finde ich, dass dies nicht dein Platz ist."

Willi zum Berater: "Ja ich habe auch schon gedacht, jetzt gehe ich nicht, aber dann habe ich oft Angst, dass sie eine Dummheit macht, das hat sie ja auch schon............."

Mutter zum Willi: "Ja, aber das ist schon lange her und das war blöd von mir."

Willi zur Mutter: "Ja, aber einmal ist schon zu viel."

Berater zum Willi: "Also du hast Angst um deine Mutter, und deine Mutter hat Angst um dich."

Willi zum Berater: "Ja, aber meine Angst ist begründet."

Berater zu Willi: "Die Mutter sagt auch, ihre Angst sei begründet. Wahrscheinlich sagt ihr beide dasselbe, nämlich: "Meine Angst ist begründet, aber deine nicht."

Berater zum Bruno: "Bruno, eigentlich bist du sehr wichtig hier, vertausche doch bitte deinen Platz mit dem Platz von Willi."

Bruno setzte sich neben seine Frau und der Sohn an den Platz des Vaters, das wirkte und die Familienmitglieder nahmen war, dass es jetzt viel stimmiger ist.


Kommentar
Die Sitzordnung der Familie gibt wichtige Hinweise auf die informelle Struktur und es ist hilfreich, damit zu arbeiten. Die Veränderung der Sitzordnung hat eine sehr verblüffende Wirkung; diese Interventionstechnik spricht für sich, denn sie ist fühlbar.

Schlussgedanken
Mein Ziel war es, aufzuzeigen wie sich systemische Konzepte und TA ergänzen, wie sich dysfunktionale Familienstrukturen auswirken und wie sie sich verändern lassen.
Die Beratung der Familie XY konnten wir nach einigen weiteren Sitzungen beenden. Es ist ihnen gelungen, die Familienstruktur spürbar zu verändern, was Entlastung für alle Familienmitglieder bedeutete.

Vom «Ich zum Wir»
Zuerst kam der Vater allein. Dann gelang es ihm, seine Frau zu überzeugen mitzukommen - so wurde aus dem Ich ein Wir. Das Wir erweiterte sich, als der Sohn dazu kam. In dieser Familie waren alle Symptomträger. In anderen Familien reagiert oft nur ein Familienmitglied offensichtlich mit Symptomen. Eine lineare Sichtweise führt dann meist dazu, dass dieses Familienmitglied als das Problem betrachtet wird.

Der ganzheitliche Ansatz «Vom Ich zum Wir» zeigt sich ebenfalls bei einer weiteren Tätigkeit von mir. Ich arbeite auch als therapeutischer Mitarbeiter in der «Rose» in Heiden, einer sozialpädagogischen Wohngruppe für Mädchen und junge Frauen. Dort ist die TA zentral – Team, Bewohnerinnen und Eltern werden in den Konzepten geschult. Die systematische Sichtweise (vom Ich zum Wir) zeigt sich schon im Erstgespräch, wenn die Heimleiterin liebevoll darauf hinweist, dass in der Rose die Familie als Patient betrachtet wird, aber nur ein Familienmitglied aufgenommen werden könne. Die übrigen Familienmitglieder seien aber wichtig und eingeladen zu den Workshops und Familiengesprächen. Als Familienberater sehe ich die grosse Entlastung für die Töchter, wenn sie aus der Rolle der Problemträgerin aussteigen können.
Literatur
Salvador Minuchin: Theorie und Praxis struktureller Familientherapie/Lambertus (ISBN3-7841-0148-8)
Eric Berne: Grundlagen der Gruppenbehandlung /Junfermann
(ISBN2-87387-424-5)
Jürg Grundlehner
Dipl. Pflegefachmann Psychiatrie
Dipl. Sozialpädagoge/Heimerzieher
Dipl. Familienberater SYSTEMIS.CH
Transaktionsanalytiker TSTA-C

Praxis in St. Gallen, z.T. in Zürich,
Einzel- Gruppen und Teamsupervision
Einzel- Paar und Familienberatung,
TA-Ausbildungsgruppen

ASTA GmbH
Oberer Graben 42
9000 St. Gallen
www.institut-asta.ch
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