artikelapril2021

Zusammenbruch und Aufbau – Mit Logosynthese zur freien Energie

Autor: Dr. Willem Lammers – Die Pandemie stellt seit einem Jahr alles auf den Kopf. Mein Jahr 2020 war geplant mit Seminaren vom März bis Dezember und nur wenige haben stattgefunden. Jetzt schreibe ich im Dezember einen Artikel, der im April erscheinen wird, in einer Zukunft, die Überraschungen in Hülle und Fülle bereithalten wird. Das ist eine Herausforderung: Ich warte seit Monaten auf die Covid-Impfung, ich weiss nicht, ob sie hält, was sie verspricht, und neue Seminare sind nicht planbar. Strategien zur Bewältigung der Krise unterscheiden sich in ihrer Wirkung kaum voneinander. Womit das Thema Zusammenbruch schon mal umkreist worden ist – im Grossen und im Kleinen.

In diesem Artikel werde ich versuchen, einige Aspekte der aktuellen Situation aus einer Energieperspektive zu verstehen und Wege aufzuzeigen, wie wir als einzelne Menschen und Gruppen mit dem offensichtlichen Zusammenbruch der aktuellen Ordnung umgehen können. Die aktuellen Themen dabei sind:

1. Der Zusammenbruch
2. Der Umgang mit dem Zusammenbruch
3. Der Aufbau
4. Energiemodelle für Heilung und Entwicklung
5. Aus der Essenz zum Aufbau mit Logosynthese.

1. Der Zusammenbruch
Das Jahr 2020 hat unsere Gesellschaft und das Leben vieler Menschen erschüttert. Es hat uns mit dem Unvorstellbaren konfrontiert: keine Flugreisen, keine Massenveranstaltungen, keine Krankenbesuche, Schliessung von Läden, Restaurants, Hotels und Museen, und Home-Office. Das Wichtigste von allen: die Unmöglichkeit, unsere Leben zu planen. Die Pandemie ist ein lebendiges Laboratorium für das Gesetz von Murphy: Alles, was schief gehen kann, geht schief, unter dem allumfassenden Motto: C’est la vie.
Die Situation fordert uns alle existenziell heraus. Niemand in den jetzt lebenden Generationen hat Ähnliches erlebt – alles ist neu und unvorhersehbar. Strategien, um einen klaren Kopf zu behalten, sind zum Versagen verdammt. Wir müssen Komplexität reduzieren, aber wie?

Spezialisten – Mediziner, Mathematiker, Epidemiologen, Psychologen, Wirtschaftswissenschaftler, und deren -innen, gehen – meistens mit Recht – von dem aus, was sie schon wissen. Jetzt werden sie von neuen Fakten überrascht. In der Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen oder mit der politischen Führung sind Reibung und Kollisionen unvermeidbar.

Auch die Politik tendiert dazu, die neue Herausforderung aus ihrem vertrauten Bezugsrahmen heraus zu verstehen. Es wird entweder für die Schließung der Grenzen oder für eine verstärkte internationale Zusammenarbeit plädiert, für einen Lockdown oder eine Öffnung. Die Obrigkeit muss ihre Entscheidungen häufig revidieren, weil ihre Standardrezepte gegen die neuen Tatsachen nicht ankommen. Vor allem politische Systeme mit einem Faible für die Verantwortung des Einzelnen erfinden Strategien, die direkt von der Opposition kommen könnten. Wer hätte gedacht, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden Bürger je zur Diskussion stehen würde?

2. Der Umgang mit dem Zusammenbruch
In diesem überwältigenden, überfordernden Kontext reagieren Menschen unterschiedlich. Neben der Akzeptanz der gegebenen Situation mit der Suche nach sinnvollen Umgangsstrategien gibt es andere, weniger konstruktive Muster:

a. Verneinen des Neuen: Die menschliche Psyche mag bekannte Erklärungen. Sie hat Mühe mit dem wirklich Neuen. Die einen glauben, dass Covid-19 Gottes Strafe für die Anerkennung von LGBTQ-Lebensweisen ist. Andere vermuten eine Verbindung zwischen dem Auftreten des Coronavirus und 5G, gesteuert von Bill Gates. Es kommt dabei zu interessanten und zuweilen haarsträubenden Kombinationen. Zur Verneinung gehört auch, dass Behörden, die Massnahmen treffen, als Ursache der Probleme wahrgenommen werden.
b. Archaische Muster: Der Zusammenbruch führt zu irrationalen Mustern im Umgang mit den Ereignissen. Der erlebte Mangel an Sicherheit wird mit Kampf, Flucht und Erstarrung bewältigt, oft nach Metaphern, die von der Kultur vorgegeben werden. In Deutschland ist Sauberkeit wichtig und die Menschen hamstern Toilettenpapier, in den USA kaufen sie sich noch eine Flinte. Diese Formen der Bewältigung sind oft mit Misstrauen der Obrigkeit gegenüber verbunden: Vertraue niemandem.
c. Anpassen: Ein drittes Reaktionsmuster ist die Suche nach einem starken Mann oder nach Ersatz-eltern, die den Menschen zeigen, wie sie denken können und was sie tun müssen, um ihre Sicherheit wieder zu gewinnen. Menschen halten sich plötzlich an die Richtlinien der Regierung. In diesem Zusammenhang ist es beunruhigend, dass manche gewählte Amtsträger in der Welt neue Chance ergreifen, ein diktatorisches Regime zu errichten.

Diese Muster füllen die Spalten in den Nachrichten und den sozialen Medien. Sie helfen bei der Reduktion der Komplexität und fördern die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen. Sie tragen jedoch wenig dazu bei, um das Neue in der Gegenwart zu bewältigen und die Zukunft neu zu gestalten.

Einschränkende Glaubenssätze
Die oben beschrieben Reaktionsmuster sind verbunden mit unterliegenden Glaubenssätzen, die einem effizienten und effektiven Umgang mit den Herausforderungen von 2021 im Wege stehen. Ich nenne drei:
1. Die anderen hätten…
Menschen mit diesem Glaubenssatz sind überzeugt, dass andere (Politiker, Wissenschaftler, Wirtschaftswissenschaftler) etwas besser hätten machen können oder sollen. Tatsache ist, dass sie es nicht getan haben. Sie haben verfügbare Informationen nicht gekannt, sie ignoriert, oder sie haben zu spät reagiert und zu wenig getan.

Für dich zum Nachdenken:
Bist du überzeugt, dass es eine alternative Vergangenheit gibt? Bindest du Energie an Dinge, die nicht geschehen sind? Bist du wütend oder traurig, weil deine bevorzugte Zukunft nicht eingetreten ist?
2. Was geschehen sollte
Menschen mit dieser Überzeugung glauben, dass sie die Antwort auf die grossen Fragen unserer Zeit kennen. Es braucht entweder eine Öffnung oder einen weiteren Lockdown, man muss mit einer breiten Palette von Massnahmen das Immunsystem der Bevölkerung stärken, man soll sich impfen lassen – oder eben nicht. Glaubenssätze mit «sollte» basieren meistens auf frustrierten Grössenfantasien. Die Überzeugung, dass ich weiss, was passieren sollte, ohne die Macht, dies umzusetzen, bindet viel Energie, während sie selten zu einer Lösung beiträgt.
Für dich zum Nachdenken: Schätzt du deine Kompetenz und deine Fähigkeiten im Umgang mit Krisen höher ein als diejenigen der Verantwortlichen? Wenn das der Fall ist, musst du dir auch die Frage gefallen lassen, warum die anderen jetzt das Sagen haben und du nicht.
3. Was du selbst solltest
Die ersten beiden Glaubenssätze basieren auf dem, was andere hätten, tun sollen oder müssen. Sie stellen die Unfähigkeit und Ohnmacht anderer in den Vordergrund, aber tragen nicht zu Eigeninitiative oder Verantwortung bei. Der dritte Glaubenssatz betrifft die Eigenverantwortung einzelner Mitglieder der Gesellschaft.
Einzelne können sich an den vorgegebenen Massnahmen halten: Hände waschen, Abstand halten, Maske tragen, grössere Ansammlungen meiden, sich impfen lassen, wenn es möglich ist. Darüber hinaus gibt es wenige Möglichkeiten, den Verlauf der Pandemie aktiv zu beeinflussen.

Für dich zum Nachdenken: Fühlst du Scham, Schuld oder Reue angesichts der aktuellen Ereignisse? Das ist wahrscheinlich ein Hinweis darauf, dass du glaubst, dass etwas deine Schuld ist: Du solltest anders fühlen, denken oder handeln. Auch dieser Glaubenssatz bindet Energie, die für den Aufbau von Neuem nicht zur Verfügung steht.
Wenn du in den obigen Zeilen Aspekte deines eigenen Denkens und Verhaltens entdeckt hast, ist das normal: Du bist ein Mensch, Menschen müssen die Komplexität reduzieren, und das ist die Lösung, die du gefunden hast. Wir kommen später in diesem Essay auf diese Glaubenssätze zurück.
Verluste und Trauer
In Zeiten von Corona geht es nicht nur darum, was sein sollte, oder wie du und andere reagiert haben oder reagieren sollten. Wenn die Herausforderung länger dauert, gibt es unvermeidliche Verluste. Du musst dich von Ressourcen und Optionen verabschieden. Du kannst nicht ausgehen oder zur Arbeit gehen, Leute treffen, einkaufen gehen, Sportveranstaltungen besuchen, Restaurants, Museen, Theater besuchen, Ferien oder Geschäftsreisen antreten.

Nicht nur das. Du verlierst Geld, weil dein Klientel wegbleibt oder weil dein Job nicht mehr existiert und niemand dich bezahlt. Die Regierung hilft einigen Menschen und Unternehmen, aber nicht allen, und viele erleiden beträchtliche Verluste.

Der Verlust führt zu Trauer: Eine vertraute, wohlwollende Welt hat aufgehört zu existieren: Du wusstest, was du und andere hatten – am Arbeitsplatz, mit dem Partner und in der Familie. Für manche kommt die Trauer um Verstorbene noch dazu.
Die Pandemie führt bei Menschen zu so vielen Verlusten, dass ein Energiefeld der Trauer entstanden ist, in allen Formen, die Elisabeth Kübler-Ross so treffend beschrieben hat: Leugnen, Wut, Trauer und eine Auseinandersetzung, bis sich ein neues Gleichgewicht gebildet hat.

Lange Zeit hatte ich nicht gedacht, dass ich betroffen sein könnte, wie in Peter Gabriels Lied. Die Konfrontation mit Corona kam nicht auf einmal, sondern Schritt für Schritt, bis der Lockdown unsere Straße und unser Haus erreichte.
Dann wurden die Verluste bewusst und Trauer setzte ein. Die Hoffnung ließ nach, dass das Virus vergehen würde, und ich musste mich von Dingen verabschieden, von denen ich nicht im Ansatz wusste, dass sie Illusionen waren: Mein Seminarprogramm 2020 löste sich in Luft auf.

Der Kern der Trauer in Zeiten von Corona ist die Erkenntnis, dass die Natur, die Ereignisse, die Menschen und die Dinge nicht vorhersehbar sind. Wir dachten, Dinge würden passieren, weil wir geplant, vorbereitet und investiert hatten. Das taten sie nicht. Nicht nur die Energie und das Geld ist verpufft, wir haben auch eine Illusion aufgeben müssen. Im Deutschen haben wir das schöne Wort "Enttäuschung": Wir haben uns getäuscht, und jetzt sind wir ent-täuscht. Wir kommen nicht um die Tatsachen herum und das tut weh.
Die aktuelle Trauer wird vertieft, wenn sie mit einem anderen Verlust zusammenfällt, insbesondere mit einem Todesfall in der Familie und Bekanntenkreis. Rituale, die die Gesellschaft zum Umgang mit Lebensereignissen entwickelt hat, sind verboten: Abschied, Umarmung, gemeinsames Trauern bei einer Beerdigung. Auch freudige Ereignisse können nicht stattfinden und eine Hochzeit ohne Gäste ist nicht wirklich der schönste Tag im Leben der Liebenden.

3. Der Aufbau
Die bestehenden Strukturen brechen zusammen und werden als Quellen von Strokes unzuverlässig. Die aktuelle Situation bindet unsere Energie und ein Aufbau scheint unmöglich. Wir müssen neue Energiequellen erschliessen. Wenn wir uns individuell und kollektiv zusammengerafft haben, können wir nicht weitermachen wie bisher. Wir brauchen eine Rückbesinnung auf den Sinn, auf das, was unser Leben lebenswert macht, nicht nur für uns als einzelne Menschen, sondern auch als Fachleute in der begleiteten Veränderung und als Gesellschaft.

Es kommen Fragen auf: Was haben wir gelernt? Was darf nicht mehr passieren? Was steht jetzt an? Diese Auseinandersetzung muss der neuen Realität Rechnung tragen, nicht was ich oder andere hätten tun sollen. Es braucht Ehrlichkeit, Integrität, Mitgefühl und kritisches Denken.
Wir müssen uns auf wissenschaftliche Tatsachen verlassen und soziale Verantwortung übernehmen. Eine solche Erneuerung der Wertvorstellungen legt die Latte hoch, aber sind wir ehrlich: Es gibt keine Alternative angesichts der Vielzahl globaler Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind.

In dieser Situation brauchen wir ein umfassendes Modell für Heilung und Entwicklung, das uns hilft. die aktuelle Situation zu verstehen und bewältigen und neue Strategien zu finden.

4. Energie in Heilung und Entwicklung
Der Energiebegriff trägt in diesem Zusammenhang zum tieferen Verständnis bei. Mit Angelika Glöckner (1992) definiere ich Energie als ein die Materie belebendes, feinstoffliches und damit nicht sichtbares Prinzip. Nach Eric Berne (1961) ist unsere psychische Energie frei, gebunden, potenziell oder ungebunden. Freie Energie können wir nach Belieben einsetzen: Sie hilft uns, das zu tun, wofür wir diesen Planeten betreten haben. Gebundene Energie ist statisch, wie in den oben genannten Glaubenssätzen, aber auch potenziell: sie kann sich unter bestimmten Umständen in freie Energie umwandeln. Ungebundene Energie zeigt sich in Bewegungen und Prozessen ohne Richtung oder Ziel. Sie kann von der Umgebung aufgenommen und gebunden werden.

In Zeiten von Corona müssen wir erkennen, dass viel unserer Lebensenergie in Strukturen gebunden ist, die mal dazu dienten, Sicherheit zu bieten. Jetzt wird dein Bedürfnis nach Struktur nicht erfüllt und du weisst nicht, wie eine Welt nach Corona aussehen könnte. Wird dein Job, dein Geschäft, derselbe sein? Werden deine Beziehungen die gleichen sein? Wann kannst du dein Geld verdienen und wieder einkaufen, ausgehen und reisen wie früher? Wird es überhaupt ein «wie früher» geben?

Der Übergang von Zusammenbruch zum Aufbau ist nur möglich, wenn wir unsere gebundene Lebensenergie befreien und neu fokussieren.
Zu viel Energie war schon zu lange in Strukturen gebunden, die ihre Existenzberechtigung verloren haben. Das gilt leider nicht nur für den
Umgang mit Corona, sondern auch für die nächste grosse Erschütterung, die auf uns zukommt:
der Klimawandel.

Für unser Überleben im Zusammenbruch und für den Aufbau danach brauchen wir sehr viel Energie. Wir brauchen deshalb Modelle und Methoden, wie wir unsere Energie befreien können im Dienst eines ungetrübten Erwachsenen-Ichs. Damit kommen wir zur Logosynthese.
Die Logosynthese
Die Logosynthese ist ein neues Energiemodell zur Heilung und Entwicklung (Lammers, 2020). Ihre Wirksamkeit beruht auf der Macht der Worte. Seit 2005 habe ich das Modell aus meinen Erfahrungen mit mehreren psychologischen und spirituellen Schulen entwickelt. Die TA hat dabei – für einen TSTA nicht überraschend – eine wichtige Rolle gespielt. Die Logosynthese beruht auf vier einfachen Grundannahmen, die sich zum Teil in der TA spiegeln:

1. Wir sind mehr als Körper und Psyche – wir sind Energie, Information, Bewusstsein – Manifestationen der Essenz, der schöpferischen Macht des Universums. Eric Berne sprach in diesem Zusammenhang von physis, aber er arbeitete diesen Begriff nicht weiter aus.
2. Unsere Energie ist entweder gebunden oder frei. In der TA kennen wir das ursprüngliche Modell der Ich-Zustände, wobei die Energie des Kind-Ichs und des Eltern-Ichs gebunden ist (Berne, 1961). Die Energie des Erwachsenen-Ichs fliesst frei in einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der Umgebung.
3. Energie gehört entweder zu einer Person oder nicht. Die Energie der Eltern im Eltern-Ich der TA gehört nicht zu der Person.
Die Energie des Kind-Ichs schon, aber sie ist gebunden in früheren Erfahrungen.
4. Worte bewegen Energie. Dieses ungewöhnliche Prinzip sagt aus, dass bestimmte Worte und Sätze die Macht haben, gebundene Energie in freie Energie umzuwandeln, ohne bewusste Anstrengung. Dieses Phänomen ist vornehmlich in spirituellen Traditionen bekannt, während Worte in traditionellen Formen von Beratung und Psychotherapie vornehmlich zur Definition, zur Beschreibung oder zur Deutung eingesetzt werden.

Gebundene Energie zwingt zur ständigen Wiederholung überholter Muster. In der Anwendung der Logosynthese streben wir danach, den freien Fluss der Energie eines Menschen wiederherzustellen, mithilfe der Macht der Worte. Diese Energie steht in der Folge der Mission des Individuums zur Verfügung.

5. Aus der Essenz zum Aufbau mit Logosynthese
Du bist mehr als Körper und Psyche, du bist Essenz. Dein Körper kann vom neuen Virus angesteckt sein, deine Psyche kann darauf reagieren, aber deine Essenz ist nicht betroffen. Nur Kontakt mit der Essenz ermöglicht den Aufbau, die Autonomie, um tragende Beziehungen aufzubauen und deine Mission in diesem Leben zu erfüllen, auch in Zeiten grosser Herausforderungen.

Es ist unsere Aufgabe, den Kontakt mit unserer Essenz wiederherstellen und zu stabilisieren, um Autonomie zu erlangen und den Herausforderungen des Aufbaus kreativ zu begegnen. Nur wenn unsere Lebensenergie frei fliesst, erschaffen wir eine bessere Zukunft, für uns selbst und für die anderen auf dieser Welt.

Die Anwendung der Methoden der Logosynthese kann dich in diesem Prozess unterstützen. Zum Schluss dieses Artikels folgt deshalb eine Anwendung der Logosynthese, um die am Anfang zitierten Glaubenssätze zu entkräften und dein erwachsenes Potenzial zu aktivieren. Die Übung fängt damit an, einen Glaubenssatz zu identifizieren, der Energie bindet und deiner Autonomie, der Ausübung deiner erwachsenen Kompetenz, im Wege steht, z.B.:
Die anderen hätten X tun können, sollen.
Die anderen sollen, müssen jetzt X tun.
Ich hätte X tun können, sollen.
Ich schaffe es nicht, X zu tun.

Wenn du einen einschränkenden Glaubenssatz gefunden hast, schreibst du ihn nieder und untersuchst dessen Wahrheitsgehalt auf einer Skala 0-10: eine Null bedeutet, dass der Satz für dich gar nicht stimmt, 10 bedeutet, dass du absolut vom Inhalt überzeugt bist.

Dann stellst du weitere Fragen: Welche belastenden Emotionen sind mit diesem Glaubenssatz verbunden? Scham? Schuldgefühle? Trauer? Angst? Wut? Die subjektive Belastung durch diesen Glaubenssatz registrierst du ebenfalls auf einer Skala 0-10: Eine Null bedeutet keine Belastung und eine 10 die höchstmögliche. Als Nächstes findest du das Energiefeld dieses Glaubenssatzes, in deinem Körper oder im Raum um dich herum: in deinem Körper, in deinem Kopf, in deinem Herz oder in deinem Bauch, außerhalb deines Körpers, links, rechts, vor, hinter, über, unter dir. Dies klingt vielleicht fremd, aber die meisten Menschen finden dieses Feld relativ leicht.
Jetzt wendest du die Macht der Worte mithilfe dreier Sätze der Logosynthese an. Du sprichst jeden dieser Sätze ruhig aus und lässt ihn ein bis zwei Minuten wirken, oder so lange, bis du eine Veränderung spürst. Es ist nicht notwendig, die Sätze intellektuell zu verstehen – die Macht der Worte wirkt über das inhaltliche Verständnis hinaus.
Jetzt sagst du den ersten Satz und lässt ihn wirken. Beobachte körperliche, emotionale und andere Reaktionen, ohne sie verändern zu müssen.

1. Ich nehme alle meine Energie, die in diesem Glaubenssatz gebunden ist, und in allem was er repräsentiert, an den richtigen Ort in mir selbst zurück.

Lass den Satz einige Minuten wirken und beobachte die Wirkung.
Dann sagst du den zweiten Satz:

2. Ich entferne alle Fremdenergie im Zusammenhang mit diesem Glaubenssatz, und mit allem was er repräsentiert, aus all meinen Zellen, meinem Körper, meinem persönlichen Raum, und schicke diese Energie dorthin zurück, wo sie wirklich hingehört.

Lass auch diesen Satz wirken. Sag dann den dritten:

3. Ich nehme alle meine Energie, die in all meinen Reaktionen auf die Tatsache gebunden ist, dass dieser Glaubenssatz nicht meinem realen Einfluss auf die Welt in der aktuellen Situation entspricht, an den richtigen Ort in meinem Selbst zurück.

Nimm die Zeit, um auch diesen Satz wirken zu lassen. Nach der Wirkungsphase des dritten Satzes schätzt du sowohl die Stimmigkeit als auch die Belastung neu ein. Du wirst merken, dass der störende Glaubenssatz etwas von seiner Kraft verliert. Du kommst in die Gegenwart an – bereit, die Realität anzutreten wie sie ist.
Catherine Beloni von der Künstlergruppe Beltrame; Bild: „Creation sans titre“
Literatur
Berne, Eric (1961). Transactional Analysis in Psychotherapy.
New York: Grove.
Glöckner, Angelika (1992). Das Energiekonzept von E. Berne.
Transaktionsanalyse, 23/92, S. 59-89.
Lammers, Willem (2020). Das kleine Buch der Logosynthese®.
Die Macht der Worte in Heilung und Entwicklung. Maienfeld: ias.
Dr. Willem Lammers
Msc, DPSych, TSTA-P, ist Psychologe, Psychotherapeut, Coach und Ausbildner.
Er hat die Logosynthese® gegründet, lehrt diese und schreibt darüber. Er lebt in Maienfeld GR.
info@logosynthesis.net | www.logosynthesis.net
Hier den Artikel drucken oder downloaden: info.dsgta.ch/download/A1139/02-artikel-april21.pdf

artikelmai2021

Wenn schon kündigen, dann bitte fair!

Autorin: Claudia Scherrer – Wir bedauern sehr. Es tut uns leid. Wir haben uns entschieden. Wer einen solchen Satz anfängt, tut das nie mit Freude und grosser Lust. Denn angetreten als Führungskraft sind alle, um Erfolg zu haben, Ziele zu erreichen, etwas bewirken zu können, Einfluss zu nehmen. Schlicht, um mit Teams Spass zu haben. So hat jede Kündigung ihre Vorgeschichte. Manchmal lief es über lange Zeit gut. Manchmal verändert sich das Verhalten oder die Leistung des Mitarbeitenden plötzlich. Manchmal prägen die ‘Auf und Ab’s’ seit Anstellungsbeginn die Zusammenarbeit. Meist gehen Gespräche voraus, lange Prozesse der Entscheidungsfindung, abwägen, was für das Unternehmen, die Kunden, Teams am besten ist. Bevor es dann zum Kündigungssetting kommt. Zum provozierten Zusammenbruch.
Schauen wir uns im Folgenden eine Kündigungssituation aus zwei Perspektiven an: aus der Sicht des Mitarbeiters, der die Kündigung erhält. Und aus der der Führungskraft, der die Kündigung ausspricht.
Der Zusammenbruch zum Ersten
Aus der Sicht von Karl Grossenbacher, 56 Jahre alt, Familienvater
Karl kommt zur Arbeit. Er fühlt sich innerlich nervös. Sein Magen rebelliert. Aber das ist jetzt seit Wochen so und er schenkt dem gar keine Aufmerksamkeit mehr. Am prunkvollen Gebäude seiner Firma angekommen, nimmt Karl die Treppen in den dritten Stock. Wenigstens ein bisschen Fitness, denkt er. Für ausgedehnten Sport bleibt keine Zeit, seit im Business ein Projekt das andere jagt. Wie gewohnt geht er an seinen Arbeitsplatz, grüsst seine Kolleginnen und Kollegen im vorbei gehen nur knapp. Das Lächeln ist ihm schon lange vergangen, er hat praktisch keinen Bezug mehr zum Team. Es kommt ihm vor, als wären sie da und er dort. Na ja, die Jungen haben auch eine ganz andere Arbeitsmoral. Die Griffe sind automatisiert: Jacke aufhängen, Knopf auf PC drücken, Bildschirm gerade drehen, Wasserflasche hinstellen, Tastatur nach vorne ziehen. Durchatmen, Schultern kurz bewegen, aufrechte Sitzhaltung. Los geht’s. E-Mails checken, internes Kommunikationstool nach aktuellen Posts durchscrollen, Projektstatus prüfen.
Da steht auch schon die HR-Verantwortliche vor ihm und bittet ihn, mit zu kommen. Erstaunt schaut Karl sie an. Seine Gedanken schiessen durch den Kopf, er versucht ein Lächeln und steht dann auf, folgt ihr. Im Rücken spürt er die Blicke. Er versucht sich auf das Gehen zu konzentrieren, das Kopf Kino auszuschalten und seine Vorahnung ‘da kommt nichts Gutes’ zu unterdrücken. ‘Wo gehen wir denn hin? Ich wusste gar nichts von einem Termin…’ ‘Wir sind gleich da, Karl. Ja, es ist richtig, ich habe dich nicht vorgängig eingeladen. Schau, hier sind wir schon im Sitzungszimmer. Nimm bitte Platz.’ Im Sitzungszimmer ist bereits der Chef von Karl. Eigentlich kommt er gut klar mit ihm. Sie lassen sich gegenseitig in Ruhe. Es müssen um die 12 Jahre sein, dass die beiden schon miteinander arbeiten. Als er neu gekommen ist, der Chef, hat Karl ihm einiges gezeigt und ihn in die spezifischen Fachthemen sogar richtig gut eingearbeitet. Dafür war ihm sein Chef immer dankbar, das hat er gespürt. Obwohl er ihn vor dem Druck auch nicht abgeschirmt hat und er auch schon heftig Kritik einstecken musste: zu langsam, zu wenig offen für neue Wege. ‘Karl, es tut mir leid, wir haben uns entschieden… Arbeitsvertrag auflösen… Drei Monate Kündigungsfrist... Letzter Arbeitstag!’ Details kriegt Karl nicht mehr mit. Innerlich knickt er ein, bricht zusammen. Er fühlt sich wie ein kleiner Knabe, der nicht weiss, ob er in Tränen ausbrechen oder einen Wutanfall kriegen soll. Ob er einfach nicken oder lauthals protestieren soll. Scham, Angst, Verzweiflung. Am liebsten einfach; weg hier.
Der Zusammenbruch zum Zweiten
Aus der Sicht des Chefs, Oliver Keller, 46 Jahre alt, ledig
Immer dieser Druck von oben! Als ob nicht schon alle ihr Bestes geben und die Ziele vor Augen haben. Oliver liebt seinen Beruf und vor allem blüht er auf, seit er Vorgesetzter ist und mit grossen Teams arbeiten kann. Irgendwie ist er da reingerutscht Mitte 30 und hat sich dann aber erstaunlich wohl gefühlt. Er war schon immer ein guter Kommunikator und konnte andere begeistern. Das kam ihm nun zu Gute. In ein paar Führungsseminaren hat er auch das Handwerk gelernt, wie Delegieren, Ziele setzen, Menschenkenntnisse. Jetzt aber ist alles anders seit der Krise. Plötzlich gehen die Umsätze den Bach runter und die Kosten fliegen ihm um den Kopf. Und kein Ende ist in Sicht. Mittlerweile besteht das Mutterhaus darauf, dass er mindestens einen Mitarbeitenden pro Einheit abbaut. Also drei ihm unterstellte Mitarbeiter. Anfänglich hat Oliver das Gespräch gesucht mit seinen Vorgesetzten im Ausland. Um Aufschub gebeten; ‘ich schaffe das, die Umsätze kommen wieder’. Er war echt verzweifelt, hatte sogar den Impuls, den Bettel hin zu schmeissen. Oder beleidigend zu werden. Er weiss aber, dass er damit die Situation nicht besser macht, im Gegenteil, zum Schluss steht er dann plötzlich noch selber im Schussfeld.
Deshalb reisst er sich zusammen und definiert Kriterien, nach denen er entscheiden will:
1. Leistungsnachweis in der Vergangenheit
2. Potential für die Zukunft
3. Leistung und Verhalten jetzt, während der Krisenzeit
Er erstellt sich ein Punkte-System von 1 – 10 und verteilt dies in einer Matrix zu den Namen seiner Mitarbeitenden. Er schläft drüber und bespricht seine Ergebnisse mit der Verantwortlichen im HR. Ihre Meinung ist ihm wichtig. Schliesslich hat sie einen guten Überblick,
ist zwar erst seit 4 Jahren im Unternehmen, kennt ihn und die Organisation jedoch sehr gut. Nach langen Gesprächen, hin und her abwägen, einigen sie sich auf Karl und zwei weitere Mitarbeitende. Im Punktesystem von Oliver hatte Karl zu den Punkten 2 und 3 die tiefste Punktzahl. Hinzu kommt, dass er in der Vergangenheit in den Feedback-Gesprächen bereits Kritik ausgesprochen hatte.
Oliver sitzt als erster im Sitzungszimmer, als die HR-Verantwortliche mit Karl hereinkommt. Die Nervosität ist fast atemraubend. Er hat das Gefühl, am ganzen Körper zu zittern und gar keine Stimme mehr zu haben. Er war doch sonst so taff, was das nur ist, dass er jetzt am liebsten einfach abhauen möchte, wie damals, als Kind. Wenn er seinen Vater enttäuschte. Da hat er sich jeweils verkrochen. Sein Vater gab ihm aber auch das Gefühl, ein kompletter Versager zu sein. Während er die Sätze spricht ‘haben uns entschieden… Auflösung… Kündigungsfrist…’, bricht er innerlich zusammen, verhaspelt sich und nimmt Karl nur durch einen Schleier wahr. Einfach nur: schnell fertig machen und weg hier.
Was ist passiert?
…Ein Blick in die Transaktionsanalyse
Die Ich-Zustände gehören zu den Basis-Konzepten der Transaktionsanalyse. Die drei Ich-Zustände beschreiben das Denken, Fühlen und Verhalten, das wir zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Aussen zeigen. Sie beziehen sich auf einen Teil unserer Persönlichkeit und werden in drei Ich-Zuständen unterschieden. (siehe Grafik).
Und im funktionellen Modell wird das ‘wie’, das Verhalten und der Prozess beschrieben. Die Anwendung wird ebenfalls in der Graphik aufgezeigt. Dadurch wird das Modell leicht verständlich und nachvollziehbar.
Was heisst das nun für unsere Beispiele?
Die Asche oder am Boden zerstört
Karl und Oliver sind durch die Kündigung erschüttert in ihren Werten. Wie in den zwei unterschiedlichen Perspektiven aufgezeigt, leiden beide unter der Situation, waren teilweise überfordert, weil sie letztlich unvorbereitet in diese einschneidende Krisensituation geführt wurden.
Karl Grossenbacher
Karl schwankt zwischen ‘kritischen Eltern-Ich’ (das macht man nicht, ich bin schliesslich schon lange dabei, habe so viel geleistet und jetzt kommt der junge Chef, den ich eingeführt habe! Das ist unmoralisch!) und dem ‘rebellischen Kind’ (sowas lass ich mir nicht bieten, ich beschwere mich, du wirst schon sehen, Chef! Er wird innerlich laut und möchte am liebsten den Stuhl rumwerfen) und dem ‘angepassten Kind’ (was wird jetzt aus mir? Ich finde in meinem Alter nie mehr eine Stelle, was sagen die Nachbarn, wenn ich plötzlich nur noch zu Hause rumsitze, was denken meine Kinder von ihrem Vater, meine Frau. Wie soll es nur weiter gehen?).
Seine Gefühle lähmen ihn.
Oliver Keller
Bei Oliver sieht es ähnlich aus. ‘Sei kein Weichei, sowas musst du doch hinkriegen, das steckst du einfach weg!’ Kritisches Eltern-Ich. Und gleichzeitig: ‘Du musst für deine Mitarbeitenden sorgen, du bist verantwortlich, dass es ihnen gut geht.’ Fürsorgliches Eltern-Ich. ‘Nicht einmal das kriegst du hin.’ Kritisches Eltern-Ich. Aber auch: ‘Wieso tut der Karl so schwierig, ich habe es ihm ja immer wieder gesagt! Der hätte das kapieren müssen und jetzt tut er so überrascht.’ Rebellisches Kind. ‘Ich habe doch gar nichts dafür, die da oben haben es mir einfach befohlen. Was kann ich denn schon ausrichten?’ Angepasstes Ich.
Das Gedanken Karussell lässt nicht locker und die Gefühle kommen wellenartig. Er ist im Schraubstock und will am Morgen gar nicht mehr aufstehen.
…Aus Fachexperten Sicht
Gerne bleibe ich bei den zwei Perspektiven. Dieses Mal jedoch verlasse ich die individuellen Beispiele mit Karl und Oliver. Ich fokussiere auf die allgemeine Ebene und schreibe aus der Sicht ‘der Gekündigten’ und aus der Sicht ‘der Führungskräfte’. Denn diese zwei Protagonisten sind in jeder Kündigungssituation wieder zu finden. In der Öffentlichkeit richtet sich der Blick häufig auf die austretende Person. Richtige Horrorgeschichten sind zuweilen zu hören und schnell passiert eine Solidarisierung mit dem Opfer von Arbeitgeberkündigungen. Dabei wird der Prozess der Führungskraft, die Kündigungen ausspricht, oft vergessen. Aus meiner Praxiserfahrung weiss ich, dass dies für viele eine enorme Herausforderung ist. Und, dass sie fast immer alleine gelassen werden damit.

Aber eines nach dem anderen.
Aus der Perspektive von Gekündigten: Kann eine Kündigung fair sein?
Ja, natürlich! Allerdings ist das von verschiedenen Faktoren abhängig. Und letztendlich auch von der Person selber. Schafft sie es, nach dem Misserfolg wieder aufzustehen? Einen Weg aus der Krise heraus zu finden? Und wie lange dauert dieser persönliche Prozess? Bei einer ungewollten Trennung von einer Arbeitsstelle sind einschneidende, ja existentielle Themen betroffen. Ausgedrückt mit den drei Hungern nach Eric Berne geht es um Folgendes:
Hunger nach Anerkennung und Akzeptanz: Zugehörigkeit wird erschüttert, Möglichkeit von Lob/Tadel entfallen, finanzieller Status geht verloren und damit verbundene Sicherheit.
Hunger nach Anreizen: Sinn und Erfüllung gehen verloren, Stimuli wie Herausforderung, Abwechslung sind nicht mehr da, Pflegen von Kontakten, Beziehungen werden reduziert.
Hunger nach Struktur (wobei dies im ersten Moment noch nicht sichtbar ist): Es fehlen ein klarer Tagesrhythmus, vorgegebene Leitplanken und ein von Aussen definierter Rahmen, wie zum Beispiel durch den Arbeitsplan.
Da ist es nachvollziehbar, dass die Auflösung des Arbeitsvertrages zu einem Zusammenbruch führen kann, zu einer persönlichen Krise und zu Zukunftsängsten. So hart es klingt; tatsächlich braucht es manchmal Erschütterungen von Aussen, um weiter zu kommen. Um einen Schritt in der persönlichen Entwicklung zu machen. Führt die Kündigung allerdings zu einem traumatischen Erlebnis, das tiefe Wunden hinterlässt, ist dies verantwortungslos seitens des Unternehmens und auch unnötig. Berücksichtig ein Arbeitgeber nämlich folgende Kriterien, kann eine Kündigungssituation mit der Zeit als ‘hart, aber fair’ empfunden wird:
1. Aussprechen von Vorwarnungen, z.B. in Form von Feedback- oder Kritikgesprächen
2. Klare Botschaften und ehrliche Gründe im Kündigungsgespräch
3. Wertschätzende Führung während der Kündigungsfrist

Was heisst das konkret?
1. Aussprechen von Vorwarnungen
In einer Zusammenarbeit geht es um Leistung und Verhalten und daraus ergeben sich Resultate. Diese Resultate werden unter anderem gesteuert durch Führungsgespräche wie Probezeit, Feedbacks, Jahresgespräche, Vereinbaren von Zielen, Informationen. Aber auch Kritik, Aktennotiz und Verwarnungen. Dies sind ‘Vorwarnungen’, die den Mitarbeitenden transparent merken lassen, woran er in Bezug auf sein Verhalten, seine Leistung oder die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens beziehungsweise deren Strategie ist. Damit erhält er die Gelegenheit, aktiv darauf zu reagieren, sein Verhalten zu ändern oder seine Leistung zu verbessern. Auf Grund dieser Vorgeschichten erfolgen dann weiterführende Entscheidungen der Führungskräfte – im Extremfall kommt es zur Kündigung. Gerne betone ich, wie zentrale Gespräche im Führungsalltag sind, sie bauen Vertrauen auf, machen Werte transparent und geben Leitplanken! Der betroffene Mitarbeiter erlebt den Entscheid somit nicht als willkürlich oder komplette Überraschung und fühlt sich nicht ohnmächtig ausgeliefert.
2. Klare und ehrliche Botschaften
Mit dem Kündigungsgespräch wird der Mitarbeiter über die Entscheidung in Kenntnis gesetzt. Definitiv und verbindlich. Dies löst Stress aus (siehe ‘Hunger’ weiter oben) und die entsprechenden Reaktionen sind bereits im Gespräch spürbar oder gar körperlich sichtbar: zum Beispiel verändert sich die Atmung oder die Hautfarbe. Unter Stress ist die Aufnahmefähigkeit stark eingeengt, alle Sinne sind in Alarmbereitschaft.
Klare Botschaften und ehrliche Gründe (am besten nur einer) geben dem Mitarbeitenden Struktur und die Möglichkeit, das Gesagte zu hören und zu verstehen. Nichts ist verwirrender, als ausschweifende und umständliche Sätze, die Türen für Zweifel offen lassen: ‘Was passiert jetzt gerade?’ ‘Werde ich wirklich gekündigt?’ Oder das Gefühl geben, es gibt noch Hoffnung. Oder gar, dass noch etwas anderes oder mehr dahintersteckt. Leider kenne ich einige Beispiele, da dachte der Mitarbeiter zuerst, er würde befördert. Oder nach gefühlt 15 Minuten blabla haben sie nachgefragt: ‘Was wollen Sie mir genau sagen?’ Auch schon wurde ich von einer Kundin gefragt: ‘Ich glaube, die haben mir gerade gekündigt. Aber ich bin nicht sicher. Was mach ich denn jetzt?’ Das hat dann nichts mit Fairplay zu tun. Und bleibt häufig sehr lange in Erinnerung. Deshalb; klare und ehrliche Botschaften, mit einer wertschätzenden Grundhaltung.
3. Führung während der Kündigungsfrist
Am darauffolgenden Tag wieder an der Arbeit zu erscheinen ist herausfordernd für den Gekündigten. Er fühlt sich automatisch in der Defensive. Gehört jedoch dazu. Denn ab jetzt ist die Kündigung öffentlich. Kollegen, Teams werden informiert, je nach Position auch externe Stellen oder gar die Medien.
Auch der Gekündigte trägt die Botschaft nach Hause, informiert Partner, Eltern, Kinder. Was – in Klammern – oftmals eine enorme Belastung ist und die grösste Angst im Moment nach dem Kündigungsgespräch. Ein offen kommunizierter Kündigungsgrund hilft bei diesem Gespräch, das von Scham und Versagensgefühlen geprägt ist.
Eine Zusammenarbeit während der Kündigungsfrist ist üblich und gehört zu den Pflichten eines Arbeitnehmers. In dieser Zeit ist die Führung durch den Vorgesetzten matchentscheidend. Gespräche, Anerkennung, Wertschätzung helfen dem Mitarbeiter, im Erwachsenen-Ich der Arbeit nach zu kommen. Den Team-Kollegen auf Augenhöhe zu begegnen und die Kunden zu bedienen. Diese Hilfe durch Führung kann den Mitarbeiter schneller wieder auf die Beine bringen und unterstützen ihn im persönlichen Prozess. Und wer weiss, vielleicht gelingt es, dass er sich bereits zum Ende der Kündigungsfrist wieder neu orientieren kann. Fehlt die Führung nach der Kündigung gänzlich, ist ein hohes Risiko, dass der Mitarbeiter im Kind-Ich bleibt, vor lauter Gefühlen in ein Loch fällt und mit Krankheit und längeren Absenzen rebelliert. Oder aus dem Eltern-Ich einen Rechtsstreit in die Gänge setzt, der aufwändig an Zeit und Emotionen ist.
Aus der Sicht der Führungskraft
Inwiefern eine Führungskraft die ausgesprochene Kündigung als fair empfindet, ist auch hier von den oben erwähnten Kriterien abhängig. Die Entscheidung, eine Kündigung zu fällen, geht an die Nieren. Vor allem, wenn eine nahe Verbindung besteht, vieles gemeinsam durchlebt wurde. Vielleicht sind gemeinsame Projekte erfolgreich gelungen. Oder Kundenreklamationen konnten zum Guten gewendet werden. Vielleicht hat das Team immer zusammen die Mittagspause verbracht. Oder der Chef weiss, dass beim Mitarbeiter der Haussegen schief steht.
Eine Kündigung entscheiden und aussprechen bedeutet: die Beziehung auflösen! Und die andere Person zurückweisen. Das setzt persönliche Prozesse in Gang und weckt Schuldgefühle. Auf der einen Seite erinnert sich die Führungskraft an eigene Situationen, in der sie abgewiesen wurde. Zum Beispiel von den Elternfiguren, von einem Lehrer, von einem Chef. ‘…Und jetzt soll ich der Täter sein?’ Erschwerend ist (oder auch: Gott sei Dank), dass Kündigungen nicht an der Tagesordnung sind und in der Regel wenig Übung darin besteht.
Und der dritte Faktor, der noch einen draufsetzt: Kündigungen sind Krisensituationen. Unsicherheit prägt Krisen. Das heisst, nicht alles ist planbar. Und immer wieder kommen Unbekannte ins Spiel, die dann rasch erkannt, bewertet und adaptiert werden müssen. Ja, aus diesen Gründen sind auch für die Führungskraft die drei Kriterien –Vorwarnungen – Klarheit und Ehrlichkeit im Kündigungsgespräch – wertschätzende Führung und Begegnungen während der Kündigungsfrist – zentral, ob die Führungskraft im Nachhinein sagen kann: ‘ich habe alles gemacht, was in meiner Führungsrolle möglich ist. Und es war zwar hart, aber fair’.
Der Phönix aus der Asche oder der Weg hinaus führt über das Erwachsenen-Ich
Kommen wir zurück zu unseren Beispielen und betrachten wir uns, wie sie es geschafft haben, aus dem Tief heraus zu kommen und gestärkt in die Zukunft zu schauen.
Karl vertraut sich seinem Umfeld an
Die Herausforderung für Karl ist nun, mit seinen Gefühlen der Trauer über den Verlust des Arbeitsplatztes klar zu kommen. Auch mit der Enttäuschung und den Schamgefühlen. Ja, mit der Angst vor der Zukunft. Das heisst, diese anzunehmen, ihnen Raum zu geben und sie im hier und jetzt zu zulassen. Ein Austausch mit Vertrauenspersonen, die ihn gut kennen, ihm wohlgesinnt sind und einfach zuhören. Das hat ihm sehr geholfen. Er hat erkannt, dass er mehr als sein Jobtitel ist und ist sehr froh, dass es ihm gelungen ist, mit seiner Frau von Anfang an offen zu reden. Während der Kündigungsfrist weiterhin im Arbeitsprozess stehen ist nicht einfach, bietet jedoch die Möglichkeit, auf andere Gedanken zu kommen, sich auf das ‘tun’ zu konzentrieren. Während dieser Zeit nutzt Karl die Chance, den Kind-Ich Zustand zu verlassen, um ins Denken und Handeln zu kommen. Er befreit sich von den lähmenden Emotionen.
Unterstützend ist für Karl der Prozess bei der Regionalen Arbeitsvermittlung. Zugegeben, ein administrativ mühsamer Prozess, jedoch prioritär, weil dies für die Zukunft von grosser Wichtigkeit ist. Nicht zuletzt, um die finanzielle Existenz abzusichern. Und so schwierig der Gang zu den Ämtern sein mag, Karl holt auch dies aus seinem Tief heraus, er kann sich Schritt für Schritt seiner Zukunft zuwenden.
Parallel hat er sich mit Blättern und Buntstiften ausgestattet. Er hat sich entschieden, mit sich selber eine ehrliche Standortbestimmung zu machen. Und Informationen über sich selber und sein bisheriges berufliches Leben zu analysieren. Damit ist er im Erwachsenen-Ich und macht einen ersten Schritt Richtung neue Herausforderung. Auf drei Blättern hält er fest:
1. Jobinhalte, Aufgaben, Verantwortungen, die ihn bisher erfüllt haben.
2. Fähigkeiten, Stärken, die ihm Spass machten und ihn die Zeit vergessen liessen.
3. Rahmenbedingungen, die nicht zu diskutieren sind.
Daraus entwickelt er eine Vision und klärt sein Vorgehen. So kann er sich bereits nach vier Monaten selbstsicher auf dem Arbeitsmarkt bewegen und er freut sich sogar, auf eine neue Tätigkeit.
Oliver macht den Schritt nach Aussen
Oliver hat sich Unterstützung geholt. Er reflektiert nun seine Rolle und die damit verbundene Verantwortung für den Kündigungsprozess. Im Rückblick erkennt er, dass er den Entscheidungsprozess im Erwachsenen-Ich gestaltet hat. Das stärkt ihn und er ist bereit, das Kündigungsgespräch zu verarbeiten. Oliver stösst auf ungeklärtes in der Beziehung zu seinem Vater. Überrascht erkennt er, dass er unter dem Stress des Kündigungsgesprächs wieder in seine Kindheit zurückgefallen ist und sich plötzlich wieder wie damals verhalten hat. Schritt für Schritt löst er diese Muster auf. Mit der nötigen Distanz kann er jetzt seine Haltung zu Karl und seinen zwei anderen Mitarbeitern ändern. Indem er nicht mehr aus dem kritischen Eltern-Ich zu sich selber redet (‘das macht man nicht’) und nicht mehr aus dem fürsorglichen Eltern-Ich in die Überverantwortung geht, erarbeitet er sich ein neues Rollenbewusstsein.
Oliver freut sich über die neue innere Klarheit, die er gewonnen hat und die ihn als Führungspersönlichkeit stärkt. Er ist bereit, mit seinem nun kleineren Team die Zukunft erfolgreich zu gestalten.
Claudia Scherrer
HR- und Kündigungsexpertin
TA Grundausbildung und mehrere Jahre Fortgeschrittenen-Training, sowie Vorbereitung auf den Abschluss zur Beraterin SGfB. SVEB Zertifikat und durchlaufene Ausbildung zur Ausbildnerin.
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