Schwerpunktthema
Sichtlich getrübt – das Fremde
Silvia Schnorf, lic. phil. I
Englischlehrerin/
Erwachsenenbildung
In fortgeschrittener Ausbildung
in Transaktionsanalyse
s.schnorf@bluewin.ch
Englischlehrerin/
Erwachsenenbildung
In fortgeschrittener Ausbildung
in Transaktionsanalyse
s.schnorf@bluewin.ch
Was wir als fremd empfinden, halten wir uns erst mal vom Leibe und produzieren gerade dadurch Fremdheit. Dazu reicht ein Blick des Befremdens, die Reaktion darauf entspricht der Blockierung einer gekreuzten Transaktion. Auf dieser visuellen Ebene hatten wir die Möglichkeit, parallel zu interagieren (‘transagieren’) aus dem wortwörtlich geteilten Augenblick heraus. Das Fremde trat uns entgegen und statt es in seiner Unbekanntheit anzunehmen, reagierten wir befremdet, verschreckt vielleicht und abwehrend. Unter diesem Fremdeln können wir ein Schutzbedürfnis aus dem Kind-Ich sehen, eine warnende Stimme aus dem Eltern-Ich hören oder gar eine urmenschliche Instinktreaktion vermuten, auf alle Fälle fehlt eine bewusste und integrierende Antwort aus dem Erwachsenen-Ich, die der Situation und den Umständen Rechnung trägt. Das Fremde ist ein Skript-Trigger, Begegnungen mit Fremden oft geradezu eine Miniskript-Achterbahn. Kein Wunder, wehren wir Fremdes, wo immer möglich, mit bekannter Vehemenz ab - oder suchen es, ganz im Gegenteil, als etwas Ideales. Dabei geht vergessen, dass das Fremde bezeichnenderweise ja unbekannt ist, sich also die Frage stellt, was denn abgewehrt, bzw. angestrebt wird. Weil es ja so blanko fremd ist, bietet sich das Fremde in seiner Leere als Projektionsfläche an. Wir kennen die Trübungen von Exotik (positive Projektionen, Illusion, Wunschdenken) und jene von Xenophobie und Rassismus (Vorurteile, negative Projektionen, Hass). Natürlich handelt es sich hier um Abwertungen (Discounts). Zu verhindern sind diese Vor-Urteile und anfänglichen Verzerrungen in ihren milderen Formen bei niemandem, sie dienen uns zu einer groben Orientierung. Doch Bewusstheit über diese Prozesse und die Bereitschaft zu reflektieren können vermeiden helfen, dass gleich aufs Dramadreieckskarussell aufgesprungen wird und man persönlich und politisch manipulierbar oder selbst manipulativ wird.
Das Befremden auf der einen Seite charakterisiert das Fremdsein auf der anderen. Ich denke, es ist viel Autonomie nötig, mit den (meist unausgesprochenen) Annahmen über einen selbst als Fremden umzugehen. Es kostet Kraft, sich nicht über sie definieren zu lassen und ist in gewissen Fällen unmöglich. Eine immer wieder zu erbringende Integrationsleistung von Migrierten ist es, zu beweisen, dass sie nicht ‘so’ sind, nicht sind, wie sie in den Köpfen spuken. Nationalitätenklischees halten sich oft hartnäckig, die wahren Identitäten fallen Discounting zum Opfer. Wer hätte, bis zu jenem Notfall, wo sie in Aktion trat, vermutet, dass die Dame hinter dem Tresen eine albanische Ärztin war, die sofort auch erklärte, dass sie hier nicht praktizieren darf. Das Fremde in Schranken zu halten, bedeutet es fremd zu halten. Fremdsein bedeutet nicht gesehen zu werden, sich nicht einbringen zu dürfen.
Im Fremden wehren wir unbewusst die Möglichkeit eigenen Fremdseins ab, denn Fremdsein ist bedrohlich und mit Schmerz verbunden. Ausserhalb stehen zu müssen löst Gefühle des Nicht-OK-Seins (-/+) oder die Abwertung vonseiten der Zugehörigen (+/-) aus. Wir sind auf Anerkennung angewiesen. Über den Austausch von Strokes vergewissern wir uns unserer sozialen Existenz. Was bei Ausgrenzung hirnphysiologisch abläuft, erklärt z.B. Joachim Bauer schlüssig und unter Verweis auf eine Fülle von sozialen und historischen Beispielen.1
Soziale Zugehörigkeit und Bindungen bedeuten Sicherheit. Im Fremdsein fallen diese weitgehend weg. Wenn ich selbst über Beziehungen verfüge und Zugehörigkeit erfahre, habe ich es weniger nötig, Fremde als Eindringlinge auszugrenzen. Dort jedoch, wo sie fehlen, werden Fremde unweigerlich als Konkurrenten empfunden – wie will ich sie integrieren, wenn ich es selbst nicht bin? Das würde die Empfindlichkeit gegenüber Fremden in strukturell schwachen Gegenden erklären. Menschen in bedrängter (oder so empfundener) Lage wechseln gegenüber Schwächeren auch mal aus der Opfer- in die Verfolgerposition. Das ist kein problemlösendes oder ethisches Verhalten. Die knappen Ressourcen (auch die psychischen) mit völlig Fremden zu teilen und damit den Eigenen vorzuenthalten, wird im gegebenen Kontext meist auch keine Option sein. Es ist folglich weniger eine Frage der Kultur, sondern eher der Begegnungsrahmen, der eine Annäherung und Überwindung der Fremdheit verunmöglichen kann. Es sind hier nicht kulturelle Differenzen, sondern mangelnde Ressourcen, die Animositäten auslösen und den Blick auf Gemeinsamkeiten versperren.
Über Fremdes definieren wir Eigenes, setzen Grenzen, erleben innerhalb Zugehörigkeit. Wenn die eigene Identität nicht stabil ist oder unter Druck gerät, provoziert das Fremde leicht nachvollziehbar Reaktionen aus dem Skript. Es irritiert z.B., indem es unser Selbstbild in Frage stellt, was es nicht sympathischer macht. Wir verteidigen unsere Grenzen vehementer mit starrem Bezugsrahmen, merken vielleicht nicht mehr, wo wir diskriminierend ausgrenzen, statt uns selbstbewusst und fair abzugrenzen. Wir lassen eine sehr wohl mögliche Verbindung zu diesen anderen Menschen nicht, oder nur bedingt zu. Statt uns mit dem Fremden vertraut zu machen, um es evtl. schrittweise als nun Vertrautgewordenes zu integrieren, betreiben wir ‘Othering’. Othering ist ein Begriff aus dem postkolonialen Diskurs, der treffend darauf hinweist, dass Andersartigkeit auch konstruiert wird. Indem ich Andere zu solchen erkläre, grenze ich sie aus und werte sie ab – mit TA gesprochen handelt es sich um Grandiosität aus einer Abwehrposition. Mit dieser Abwertung kann ich das Fremde nun für mich legitim abwehren und muss mich nicht mit ihm auseinandersetzen.
Unser Blick bleibt in diesem Fall an Differenz haften und versperrt jenen auf Gemeinsamkeiten. Das kann dazu führen, dass wir uns in Verstrickungen und Abhängigkeiten in Form von Symbiosen begeben. Othering ist diskriminierend. Es finden Machtspiele statt. Mechanismen wie Opferabwertung und die Verkehrung von Opfern in Täter dienen ihrer Rechtfertigung. Daher lohnt es sich, mit offenem Blick hinzusehen. Wir alle kennen genug soziale und politische Beispiele dieser Dynamiken. Vielleicht geben wir uns mit Rettermentalität Mühe, den ‘armen Menschen’ zu helfen, während wir ihnen gleichzeitig ihre Ressourcen aberkennen, sie aus verdeckten (unbewussten?) Motiven in der Opferposition halten, für die wir (nun als Verfolger) sie dann auch noch verantwortlich machen.
Wie anders sähe ein gleichwertiger Umgang aus! Zumindest könnten wir OK-OK realistisch (Fanita English) anstreben und im Dialog über Vertragsarbeit – in Anerkennung beiderseitiger Interessen und unter Respektierung bleibender Unterschiede – zu kooperativen Lösungen finden. Dass der Umgang mit kulturell Fremden komplexer ist als der mit dem altbekannten Nachbarn, versteht sich von selbst. Wenn wir aber bedenken, was wir sonst alles zu lernen bereit sind, dann ist es erstaunlich, dass wir unsere kulturellen Prägungen (und die der anderen) generell für so absolut halten, zumal wir genügend Beispiele haben für gelungene soziale Integration und sicher im eigenen Leben auf Erfahrungen zurückgreifen können, wo wir gelernt haben, mit disparaten Elementen unserer eigenen Kultur und Herkunft konstruktiv umzugehen – vielleicht gerade über TA und Skriptarbeit.
Das Fremde in den Köpfen hält sich neben kollektiven Stereotypen vor allem in Form einiger einflussreicher Trübungen, die auch damit zu tun haben, dass Kultur und Identität als Konzepte fast ebenso schlecht fassbar sind wie das Fremde selbst.
Das Befremden auf der einen Seite charakterisiert das Fremdsein auf der anderen. Ich denke, es ist viel Autonomie nötig, mit den (meist unausgesprochenen) Annahmen über einen selbst als Fremden umzugehen. Es kostet Kraft, sich nicht über sie definieren zu lassen und ist in gewissen Fällen unmöglich. Eine immer wieder zu erbringende Integrationsleistung von Migrierten ist es, zu beweisen, dass sie nicht ‘so’ sind, nicht sind, wie sie in den Köpfen spuken. Nationalitätenklischees halten sich oft hartnäckig, die wahren Identitäten fallen Discounting zum Opfer. Wer hätte, bis zu jenem Notfall, wo sie in Aktion trat, vermutet, dass die Dame hinter dem Tresen eine albanische Ärztin war, die sofort auch erklärte, dass sie hier nicht praktizieren darf. Das Fremde in Schranken zu halten, bedeutet es fremd zu halten. Fremdsein bedeutet nicht gesehen zu werden, sich nicht einbringen zu dürfen.
Im Fremden wehren wir unbewusst die Möglichkeit eigenen Fremdseins ab, denn Fremdsein ist bedrohlich und mit Schmerz verbunden. Ausserhalb stehen zu müssen löst Gefühle des Nicht-OK-Seins (-/+) oder die Abwertung vonseiten der Zugehörigen (+/-) aus. Wir sind auf Anerkennung angewiesen. Über den Austausch von Strokes vergewissern wir uns unserer sozialen Existenz. Was bei Ausgrenzung hirnphysiologisch abläuft, erklärt z.B. Joachim Bauer schlüssig und unter Verweis auf eine Fülle von sozialen und historischen Beispielen.1
Soziale Zugehörigkeit und Bindungen bedeuten Sicherheit. Im Fremdsein fallen diese weitgehend weg. Wenn ich selbst über Beziehungen verfüge und Zugehörigkeit erfahre, habe ich es weniger nötig, Fremde als Eindringlinge auszugrenzen. Dort jedoch, wo sie fehlen, werden Fremde unweigerlich als Konkurrenten empfunden – wie will ich sie integrieren, wenn ich es selbst nicht bin? Das würde die Empfindlichkeit gegenüber Fremden in strukturell schwachen Gegenden erklären. Menschen in bedrängter (oder so empfundener) Lage wechseln gegenüber Schwächeren auch mal aus der Opfer- in die Verfolgerposition. Das ist kein problemlösendes oder ethisches Verhalten. Die knappen Ressourcen (auch die psychischen) mit völlig Fremden zu teilen und damit den Eigenen vorzuenthalten, wird im gegebenen Kontext meist auch keine Option sein. Es ist folglich weniger eine Frage der Kultur, sondern eher der Begegnungsrahmen, der eine Annäherung und Überwindung der Fremdheit verunmöglichen kann. Es sind hier nicht kulturelle Differenzen, sondern mangelnde Ressourcen, die Animositäten auslösen und den Blick auf Gemeinsamkeiten versperren.
Über Fremdes definieren wir Eigenes, setzen Grenzen, erleben innerhalb Zugehörigkeit. Wenn die eigene Identität nicht stabil ist oder unter Druck gerät, provoziert das Fremde leicht nachvollziehbar Reaktionen aus dem Skript. Es irritiert z.B., indem es unser Selbstbild in Frage stellt, was es nicht sympathischer macht. Wir verteidigen unsere Grenzen vehementer mit starrem Bezugsrahmen, merken vielleicht nicht mehr, wo wir diskriminierend ausgrenzen, statt uns selbstbewusst und fair abzugrenzen. Wir lassen eine sehr wohl mögliche Verbindung zu diesen anderen Menschen nicht, oder nur bedingt zu. Statt uns mit dem Fremden vertraut zu machen, um es evtl. schrittweise als nun Vertrautgewordenes zu integrieren, betreiben wir ‘Othering’. Othering ist ein Begriff aus dem postkolonialen Diskurs, der treffend darauf hinweist, dass Andersartigkeit auch konstruiert wird. Indem ich Andere zu solchen erkläre, grenze ich sie aus und werte sie ab – mit TA gesprochen handelt es sich um Grandiosität aus einer Abwehrposition. Mit dieser Abwertung kann ich das Fremde nun für mich legitim abwehren und muss mich nicht mit ihm auseinandersetzen.
Unser Blick bleibt in diesem Fall an Differenz haften und versperrt jenen auf Gemeinsamkeiten. Das kann dazu führen, dass wir uns in Verstrickungen und Abhängigkeiten in Form von Symbiosen begeben. Othering ist diskriminierend. Es finden Machtspiele statt. Mechanismen wie Opferabwertung und die Verkehrung von Opfern in Täter dienen ihrer Rechtfertigung. Daher lohnt es sich, mit offenem Blick hinzusehen. Wir alle kennen genug soziale und politische Beispiele dieser Dynamiken. Vielleicht geben wir uns mit Rettermentalität Mühe, den ‘armen Menschen’ zu helfen, während wir ihnen gleichzeitig ihre Ressourcen aberkennen, sie aus verdeckten (unbewussten?) Motiven in der Opferposition halten, für die wir (nun als Verfolger) sie dann auch noch verantwortlich machen.
Wie anders sähe ein gleichwertiger Umgang aus! Zumindest könnten wir OK-OK realistisch (Fanita English) anstreben und im Dialog über Vertragsarbeit – in Anerkennung beiderseitiger Interessen und unter Respektierung bleibender Unterschiede – zu kooperativen Lösungen finden. Dass der Umgang mit kulturell Fremden komplexer ist als der mit dem altbekannten Nachbarn, versteht sich von selbst. Wenn wir aber bedenken, was wir sonst alles zu lernen bereit sind, dann ist es erstaunlich, dass wir unsere kulturellen Prägungen (und die der anderen) generell für so absolut halten, zumal wir genügend Beispiele haben für gelungene soziale Integration und sicher im eigenen Leben auf Erfahrungen zurückgreifen können, wo wir gelernt haben, mit disparaten Elementen unserer eigenen Kultur und Herkunft konstruktiv umzugehen – vielleicht gerade über TA und Skriptarbeit.
Das Fremde in den Köpfen hält sich neben kollektiven Stereotypen vor allem in Form einiger einflussreicher Trübungen, die auch damit zu tun haben, dass Kultur und Identität als Konzepte fast ebenso schlecht fassbar sind wie das Fremde selbst.
© Silvia Schnorf
Da ist einmal die statische Auffassung von Kultur, mithilfe derer wir, wie schon erwähnt, unsere Lernfähigkeit in Bezug auf Kultur ausblenden. Die TA postuliert, dass jeder Mensch denken und sich verändern kann – auch kulturell möchte ich hinzufügen. Kulturen wandeln sich mit gelebter Praxis und wir uns mit ihnen. Der Prozess der Digitalisierung führt uns das deutlich vor Augen. Mir gefällt als Illustration auch das Beispiel der Historizität von Emotionen2. Unsere Kultur und Lebenswelt bestimmt uns bis in unsere Gefühle – und zwar dynamisch. Wir ändern uns persönlich und kulturell, auch im Kontakt mit anderen Kulturen.
Die Idee singulärer Zugehörigkeit schürt Konflikte und lässt Konfrontationen eskalieren. Unsere Zugehörigkeit zu einer Gruppe bedingt notwendigerweise die Abgrenzung von anderen Gruppen. Problematisch wird es dort, wo dies nicht (selbst-)bewusst geschieht, sondern mittels destruktiver Spiele gegen Andere agitiert wird. Hierher gehört dann das Hochspielen einer singulären Zugehörigkeit, oft benutzt zur hysterischen Überhöhung einer Exklusivität, die so nicht existiert. Amartya Sen weist darauf hin, dass auf diese Weise Feindbilder mit katastrophalen Folgen stilisiert werden, während ausgeblendet wird, dass jeder Mensch im realen Leben vielfältigen Gruppierungen angehört und über verschiedene Teilidentitäten und entsprechende Beziehungen verfügt3. Plötzlich zählt nur noch ein einziges Identitätskriterium – meist Ethnie oder Religion - und es ist egal, ob die Trennlinie sogar durch Familien verläuft. Fremd ist dann ganz klar Feind, und es reicht, den falschen Namen zu haben, um verfolgt zu werden. Wie viele tragen solch traumatische Erfahrungen in ihrem kulturellen Skript und reagieren auf Fremde mit grossem Misstrauen.
Die Annahme kultureller Homogenität steht im Zusammenhang mit dem oben Genannten. Wir leben in einer globalisierten Welt und einer Einwanderungsgesellschaft: In allen Lebenssphären empfangen wir Impulse aus anderen Kulturen und schaffen gemeinsam Neues - ob Lösungen oder Probleme. Der Mythos kultureller Homogenität hält sich als grobe Simplifizierung jedoch hartnäckig (meist in Form von Nationalismus) und will etwas bewahren, das längst aufgegeben worden ist zugunsten einer, auch problematischen, Offenheit in der gegenwärtig so vernetzten Welt. In einer plurikulturellen Gesellschaft unter Veränderungsdruck soll dieser Mythos Überfremdungsgefühle erklären und produziert sie dabei gleich selbst.
Das Ausblenden von Gemeinsamkeiten ist die Folge der oben genannten Trübungen. Im Banne des Differenz- und Diversitätsgedankens übersehen wir, was wir teilen – seien dies gemeinsame Interessen und Ziele, eine Berufsidentität oder Familienrolle, ganz zu schweigen von universellen menschlichen Bedürfnissen. Mit Gemeinsamkeiten im Blick würden wir viel eher Schritte zu Bekanntschaft und Beziehung in die Wege leiten und damit Fremdheit und das mit ihr verbundene Unbehagen reduzieren.
Ein zentraler Punkt in der Begegnung mit Fremden schliesslich betrifft die Vernachlässigung des Kontexts. Die Lage eines Menschen bestimmt sein Verhalten und seine Möglichkeiten oft mehr als seine kulturelle Identität. Dies wird ausgeblendet, wo seine Fremdheit im Fokus ist. Dazu ein Gedankenexperiment: man stelle sich Personen identischer Herkunft als ‘Expats’ oder Asylsuchende vor, als Nachbarn oder Geschäftspartner. Der Kontext bestimmt, welches Bild wir von diesen Menschen gewinnen und wie wir ihnen begegnen.
All diese Trübungen suggerieren im Fremden etwas Absolutes und Unüberwindbares. Sie stellen kognitive Barrieren dar, die wir abwehrend errichtet haben. Wo wir Differenz suchen, werden wir sie auch immer finden, Gemeinsamkeiten jedoch übersehen. Hier können wir mit TA ansetzen in Anerkennung menschlicher Grundbedürfnisse und durch Anstreben einer OK-OK-Haltung. Die TA handhaben wir generell als universell anwendbare Kommunikationsmethode. Sie bietet in ihren Modellen auch einigen Spielraum für den Ausdruck kulturell unterschiedlicher Ausprägungen menschlicher Erfahrungen und Werte. Sie liefert ebenso das Instrumentarium für einen Austausch darüber und wird mittlerweile quer über den Globus praktiziert. TA nimmt Menschen in ihrem Kontext wahr und begleitet sie hin zu grösserer Autonomie. Ein schönes Beispiel dafür liefert Karen Pratt in einem Beitrag über ihre Arbeit in Südafrika4.
TA fördert Selbst- und Sozialkompetenz und trägt damit zur Verständigung und Verringerung von gefühlter Fremdheit bei. Wir können sie einsetzen zur Förderung von Fremdheitskompetenz: Nach innen zur Förderung des Bewusstseins für eigene Reaktionen auf Fremdes und Fremde, sowie zur Reflexion eigener Erfahrungen des Fremdseins; nach aussen zu einer achtsamen Verständigung auf OK-OK-Basis, die dem fremden Gegenüber die gleiche Menschlichkeit zugesteht wie den Eigenen. Die Kombination der Innen- und Aussenperspektive schliesslich verhilft den sich Fremden in der Begegnung zu mehr Autonomie: Wir wahren einen flexiblen Bezugsrahmen, der dem Lernen über Andere und über uns selbst zugänglich ist und uns immer wieder neu Orientierung verschafft (Bewusstheit); wir können Beziehungen herstellen und freier gestalten, die uns Skriptreaktionen (auch kollektive) bis dahin verunmöglichten (Intimität); über kooperatives Vorgehen können wir unsere Ressourcen komplementär einbringen und gemeinsam nutzen (Spontaneität). Studien und Versuchsanlagen im Zuge der Desegration in den USA zeigten, dass Begegnungen mit einzelnen Vertretern einer kulturell fremden Gruppe zumeist keine Vorurteile entkräfteten, sondern sie im Gegenteil noch verstärkten, da solche Einzelpersonen offenbar gemeinhin als die Regel bestätigende Ausnahmen gesehen werden. Erfolgreichere Arrangements gestalteten mit dem «jigsaw classroom» ein kooperatives Lernsetting, innerhalb dessen beide, bzw. alle Seiten gleichberechtigt waren, gemeinsame Ziele anzustreben hatten und aufeinander angewiesen waren5. Diese drei Kriterien finden wir auch in den meisten erwachsenenbildnerischen Kontexten. Wir können einen solch ko-kreativen Rahmen ideal mit TA begleiten, um mehr soziale Kohärenz anzustreben. (Als TA-ler haben wir ja die Wirksamkeit solcher Gruppenarrangements in der Ausbildung auch selbst erlebt.) Positive Lernerfahrungen in einer kulturell gemischten Gruppe, in der mit jeder Lektion mehr Gemeinsamkeiten und auch grösseres Verständnis für Unterschiede entstehen, dienen konkret der Enttrübung und Bezugsrahmenerweiterung und liefern damit ein Gegenmittel zu den Negativschlagzeilen, die unser Bild vom Fremden stärker zu prägen scheinen als die weit häufigeren problemlosen, damit aber unauffälligen, Begegnungen.
Mit TA können wir ergründen, welche Umstände und inneren Faktoren unser Verhältnis zum Fremden bestimmen. Mir scheint ein selbst- und sozialkompetenter Umgang mit dem Fremden vielversprechender als interkulturelle Verhaltenstrainings für einzelne Kulturen. Wo wir es schaffen, Lernen situativ und in geschütztem Rahmen (Permission, Protection, Potency!) im konstruktivistischen Sinn anzuleiten, entsteht Neugier und Entdeckerlust, die Kommunikation wird klarer, die eigene Identität gewinnt in Auseinandersetzung mit dem Fremden an Kontur. Anstelle von Fremdeln tritt Vertrauen in Selbst und Andere. Und nicht zuletzt erlangt in solchen Dialogen auch ‘das Fremde’ eine Stimme mit Resonanz, die einer nachhaltigen Verständigung dienen wird und das Eigene bereichern kann.
1. Bauer, J. (2011). Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt. München: K. Blessing.
2. Siehe: History of Emotions: www.ted.com/talks/tiffany_watt_smith_the_history_of_human_emotions und www.mpib-berlin.mpg.de/en/research/history-of-emotions
3. Sen, Amartya. (2006). Identity & Violence, The Illusion of Destiny. London: Penguin.
4. Pratt, Karen. (2016). Building Community. In: G. Barrow & T. Newton (Eds.) Educational Transactional Analysis. (pp. 251-264). London: Routledge.
5. Aronson, E. et al. (2016). Reducing Prejudice. In: Social psychology. (pp. 442-450). Boston: Pearson.