Schwerpunktthema
‹Entwicklungsstimmung erzeugen›
Zukunftsoptionen erschliessen mit
Ressourcenaktivierung und Transaktionsanalyse
Ressourcenaktivierung und Transaktionsanalyse
Wie können Beraterinnen und Coaches so wirksam werden, dass ihre Klientinnen und Klienten sich Zukunftsoptionen erschliessen? Welche Wirkfaktoren lassen Beratungsprozesse also erfolgreich und nachhaltig werden und wie können wir sie in der Praxis mit Konzepten der Transaktionsanalyse verknüpfen?

Der Schweizer Neuropsychotherapieforscher Klaus Grawe hat in seiner Arbeit Wirkfaktoren für Psychotherapie evaluiert und in diversen Studien nachgewiesen. Sie gelten aus meiner Sicht auch für Beratungsprozesse und Coaching1. Der folgende Text stellt diese Wirkfaktoren – Komplementäre Beziehungsgestaltung, Ressourcenaktivierung, Motivationale Klärung, Problembewältigung und Problemaktualisierung – mit Bezug auf Grawe dar und beschreibt, welche Konzepte der Transaktionsanalyse diese Wirkfaktoren in Beratungsprozessen zur Geltung bringen. Schliesslich werfe ich einen Blick darauf, wo die Stärken der TA liegen und welche Perspektiven in der Transaktionsanalyse besonders dabei helfen, Zukunftsoptionen zu entwickeln.
Klaus Grawes Konzept der Wirksamkeitsfaktoren von Psychotherapie
Mit seinem Forschungsteam an der Universität Bern erforschte Klaus Grawe die Wirkmechanismen von Psychotherapie ohne ‹die unvernünftige Aufteilung in Therapieschulen› (Grawe 2004, S. 11 sowie Grawe 1998) und unter Hinzuziehung neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse. In seinem Buch ‹Neuropsychotherapie› legte er 2004 auf dieser Basis eine ‹Konzeption der Wirkungsweise von Psychotherapie› vor (Grawe 2004, 12).Fünf Wirkfaktoren beschreibt Grawe:
1. Komplementäre Beziehungsgestaltung
2. Ressourcenaktivierung
3. Motivationale Klärung
4. Problembewältigung
5. Problemaktualisierung
1. Komplementäre Beziehungsgestaltung
2. Ressourcenaktivierung
3. Motivationale Klärung
4. Problembewältigung
5. Problemaktualisierung
Wirkfaktoren: Ressourcenaktivierung und komplementäre Beziehungsgestaltung
Ressourcenaktivierung ist der grundlegende Wirkfaktor, denn er stärkt funktionale Regelkreise von Zellverbänden im Gehirn. (Grawe 1998, S. 27 f.). Persönliche Ressourcen können inhaltlich sein (vgl. Behrendt 2012, S. 397):
Positive Einstellungen
Wahrnehmungsfähigkeiten
Helfende Gedanken
Positive Erinnerungen
Positive Erwartungen und Hoffnungen
Motivierende Ziele und Wünsche
Alle Stärken und Fähigkeiten der betroffenen Person
Externe Ressourcen (Unterstützer u.a.)
Neben der inhaltlichen Thematisierung von Ressourcen ist die prozessuale Aktivierung von Ressourcen in der Beziehungsgestaltung ein wesentlicher Wirkfaktor. Für die Coachingbeziehung hat Behrendt diesen Erfolgsfaktor erforscht und folgende drei Aspekte als besonders wirksam evaluiert (vgl. Behrendt 2012, 398 ff):
‹Eine wertschätzende und empathische Grundhaltung, die die vorhandenen Stärken, Ziele und Bedürfnisse des Klienten aufnimmt und verstärkt,
ein individuelles Vorgehen, das an die Erwartungen, Ziele und Fähigkeiten des Klienten angepasst wird, sowie
ein kompetentes Auftreten, das beim Klienten Vertrauen in Coach und Coaching erweckt und so Engagement für Veränderungen erzeugt.›
Diese drei Aspekte wirken auf der Prozessebene: sie beantworten – in der Sprache der Transaktionsanalyse – die Grundbedürfnisse des Klienten nach Struktur und Sicherheit sowie nach Zuwendung und Stimulation.
Wirkfaktor: Klärung
Klärung unterstützt den Klienten dabei, seine motivationalen Ziele und seine gegebene Situation zu verstehen. Hier geht es darum, relevante Ziele, Einstellungen, Werte und Gefühle für die Zielfindung herauszuarbeiten durch sorgsame Vertragsarbeit. Grawe seinerseits betont zusätzlich den klaren Fokus jeder einzelnen Sitzung. In der Sprache der Transaktionsanalyse würde man von ‹Stundenverträgen› sprechen. (Grawe 2004, S. 438)
Wirkfaktor: Problembewältigung
Dieser Erfolgsfaktor unterstützt den Klienten dabei, seine Ziele zu erreichen. Wichtig ist es hier, in eine Handlungsorientierung zu kommen. Der Fokus ist, dass bei Klienten ‹die neu zu lernenden neuronalen Erregungsmuster auch unter Bedingungen der konkreten Lebensrealität aktiviert und gebahnt werden.› (Grawe 2004, S. 439) Dies kann auf verschiedenen Wegen geschehen: beispielsweise durch gedankliche Vorwegnahme von positiven Handlungsfolgen, durch ‹Hausaufgaben› mit der Einladung zum Experiment, durch Rollenspiele und Training. Wichtig ist die Orientierung auf Handeln und auf Veränderung. ‹Die Aktivierung eines Problems soll einmünden in eine konkrete Bewältigungs- und Klärungserfahrung.› (Grawe 2004, S. 438)
Wirkfaktor: Problemaktualisierung
Problemaktualisierung ist schliesslich der fünfte Faktor. Damit ist gemeint, dass ein Thema direkt und unmittelbar im Coaching erlebt werden kann. Denn viele Erfahrungsanteile sind im impliziten Gedächtnis gespeichert und dem bewussten Denken nicht unmittelbar zugänglich. Für eine nachhaltige Veränderung müssen erst die entsprechenden Gedächtnisanteile aus dem impliziten Gedächtnis aktiviert werden – sei es über den Bezug zu Körperempfindungen, über innere Bilder oder konkretes Erleben. Erlebnisorientierte Verfahren wie Rollenspiele, Psychodrama oder Stuhlarbeit sowie Körperarbeit tragen diesem Umstand Rechnung und können so kognitive Erkenntnisse um eine ‹einprägsame Erfahrung› (Behrendt 2012, S. 400) erweitern. Denn ohne eine entsprechende neuronale Aktivierung können Gedächtnisinhalte nicht verändert werden.
Problemaktualisierung für sich genommen besitzt nach Grawe eine Moderatorfunktion. Dieser Faktor ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Klärung und Bewältigung. Umgekehrt bewirkt Problemaktivierung für sich genommen – also ohne eine Einbettung in die Aktivierung positiver Muster = Ressourcenaktivierung – keine positive Veränderung, im schlimmsten Fall werden alte neuronale Muster verstärkt (vgl. auch Behrendt 2012, S. 400).
Problemaktualisierung für sich genommen besitzt nach Grawe eine Moderatorfunktion. Dieser Faktor ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Klärung und Bewältigung. Umgekehrt bewirkt Problemaktivierung für sich genommen – also ohne eine Einbettung in die Aktivierung positiver Muster = Ressourcenaktivierung – keine positive Veränderung, im schlimmsten Fall werden alte neuronale Muster verstärkt (vgl. auch Behrendt 2012, S. 400).
Die Wirksamkeitsfaktoren und die Methoden der Transaktionsanalyse
In der Transaktionsanalyse stehen für die ressourcenorientierte Gestaltung der Coachingbeziehung verschiedene Konzepte zur Verfügung:
Als Erstes zu nennen ist die Grundhaltung von Transaktionsanalytikern: die OK/OK-Haltung, die die Basis für jede transaktionsanalytische Beratungsbeziehung bildet. Sie ist per se ressourcenorientiert, denn diese Haltung vertraut darauf, dass der Klient die Fähigkeit besitzt, sein Problem zu lösen.
Ein zweiter wesentlicher Baustein für ressourcenorientiertes Arbeiten auf Basis der Transaktionsanalyse ist das Stroke-Konzept. Es ermöglicht differenzierte Wertschätzung und Zuwendung auf verschiedenen Ebenen.
Richard Erskines Konzept der Beziehungsbedürfnisse, das emotionale Grundbedürfnisse von Individuen in Beziehungen konzeptionalisiert, ermöglicht es TA-Beratern, Therapeuten und Coaches, Bindungsbedürfnisse des Klienten im Prozess komplementär zu beantworten. Auch hier sehe ich eine wesentliche Ressource der Transaktionsanalyse.
Und schliesslich wird gerade in der Transaktionsanalyse-Ausbildung grosser Wert darauf gelegt, die individuellen Kompetenzen des Coaches zu stärken und so eine reflektierte Bewusstheit über die eigene Wirkmächtigkeit zu erarbeiten. Pat Crossman beschreibt diese ressourcenorientierte Grundhaltung mit den Begriffen Permission, Protection und Potency.
Auch für den Wirkfaktor Klärung hat die Transaktionsanalyse viel beizutragen: Konzepte wie das Ich-Zustandsmodell (Struktur- und Funktionsmodell), das Spielekonzept oder auch das Skriptkonzept unterstützen Klienten, in präzisen und bildhaften Modellen komplexe Zusammenhänge ihres intrapsychischen und sozialen Funktionierens so zu beschreiben, dass sich die innewohnende Struktur und Dynamik erschliesst. Dieses Verständnis für die eigene psychische Struktur und ihre Auswirkung in zwischenmenschlichen Beziehungen ist ein wichtiger Schritt zur Problemlösung. Dabei gibt die Transaktionsanalyse Klienten Modelle an die Hand, mit denen sie später eigenständig weiter arbeiten können.
Die Fokussierung eines Coaching- bzw. Beratungsprozesses auf ein Ziel hin – also die Fokussierung auf Erfahrungen der Problembewältigung wird in der Transaktionsanalyse zunächst durch die Vertragskonzepte erreicht. Bernes Frage: ‹Was willst Du heute verändern?› steht für diesen Zusammenhang. Verträge – transparente Vereinbarungen – ermöglichen zu jeder Zeit – im Dialog mit dem Klienten – den Beratungs- oder Coachingprozess zu steuern und auf die vereinbarten Ziele zu fokussieren. Diese klare Struktur gibt Sicherheit und Orientierung sowie die Möglichkeit, den eingeschlagenen Weg jederzeit in Zwischenschritten zu evaluieren.
In der Transaktionsanalyse wird der Bereich der Problemaktualisierung mit der phänomenologischen Diagnose der Ich-Zustände erfasst. Verschiedene Techniken aus der Geschichte der Transaktionsanalyse – wie etwa der Neuentscheidungsansatz von Bob und Mary Goulding – erreichen Problemaktualisierung durch Stuhlarbeit. Weitere Methoden für einen unmittelbaren Zugang zum Erleben könnten neben Rollenspielen oder Stuhlarbeiten beispielsweise Wahrnehmungsübungen sein – wie spüre ich Entspannung, wie spüre ich Anspannung – auch die Technik der Introversion scheint mir geeignet. (Dehner, Dehner 2015) Sie verknüpft Problemaktualisierung mit einer neuen ressourcenorientierten Achtsamkeitserfahrung. Ähnliches gilt aus meiner Sicht für das Arbeiten mit dem Zürcher Ressourcenmodell oder auch für Arbeiten mit imaginativen Methoden.
Zukunftsoptionen zu erschliessen beginnt also damit, vorhandene Ressourcen zu explorieren und zu stärken. Warum ist das so wichtig?
Ressourcenorientierung versetzt unser Gehirn in ‹Entwicklungsstimmung›: es aktiviert – so die aktuelle neurobiologische Forschung – den so genannten Annäherungsmodus. Dieser ‹Annäherungsmodus› macht unser Gehirn bereit für Lernen. Grawe nennt diesen Vorgang ‹positives Priming›. Positives Priming öffnet für Veränderungen. In der Praxis heisst das, dass ein Berater/Therapeut/Coach sich VOR der jeweiligen Sitzung selbst ‹positiv primet›, das heisst sich bewusst auf die Ressourcen der jeweiligen Klientin konzentriert: ‹Ressourcenpriming ist eine systematische Gesprächsvorbereitung für die beratende Person, sich selbst verstärkt auf die Ressourcen der hilfesuchenden Person zu fokussieren.› (Flückiger/Wüsten 2015, S. 17)2
Die Discounttabelle als ‹Ressourcentabelle›
Transaktionsanalytiker/-innen können hierzu auch die Discounttabelle als ‹Ressourcentabelle› nutzen. Die vier Ebenen der Discounttabelle bieten als ‹Ressourcentabelle› folgende Fragestellungen an:
Welche Ressource wird ausgeblendet und nicht wahrgenommen?
Was ist eine mögliche ressourcenaktivierende Bedeutung eines Signals oder eines Themas?
Worin liegen allgemeine ressourcenstärkende Entwicklungen dieses Themas?
Worin liegen persönliche ressourcenaktivierende Wahrnehmungen und alternative Optionen für den Klienten?
Die anspruchsvolle Spannung eines Therapie- oder Beratungsprozesses liegt zwischen Problembewältigung und Ressourcenaktiverung: Ein Klient kommt mit seinem Problem und möchte darin ernst genommen werden. (Auch dies empathisch zu tun, ist eine Ressource im Sinne der Beziehungsgestaltung!) Andererseits ist es die Aufgabe einer Therapeutin/Beraterin/Coach, die Ressourcen der Klientin gezielt in den Blick zu nehmen, um ‹Entwicklungsstimmung› zu erzeugen, also neurobiologisch den Boden zu bereiten für Lernen und Veränderung. Die Transaktionsanalyse bietet dafür eine solide Basis.
2 Für diesen Zweck bieten Christoph Flückiger und Günther Wüsten in ihrem Buch entsprechende Anleitungen und Arbeitsmaterialien an.
Fußnoten
1 vgl. hierzu auch die Forschungen von Behrendt, 20122 Für diesen Zweck bieten Christoph Flückiger und Günther Wüsten in ihrem Buch entsprechende Anleitungen und Arbeitsmaterialien an.
Literatur
Peter Behrendt (2006): Wirkung und Wirkfaktoren von psychodramatischem Coaching – eine experimentelle Evaluationsstudie. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie 5 (1), S. 59–87
Peter Behrendt (2012): Freiburger Erfolgsfaktoren-Coaching. Vier Erfolgsfaktoren zur Etablierung von Konsistenz bei Coachees. Zeitschrift für Organisationsberatung – Supervision – Coaching, OSC 4/2012, S.391–404
Christoph Flückiger, Günther Wüsten (2015): Ressourcenaktivierung. Ein Manual für Psychotherapie, Coaching und Beratung. 2. aktualisierte Auflage Bern: Verlag Hans Huber
Christoph Flückiger, Martin Grosse Holtforth: Ressourcenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung: Bedürfnisbefriedigung in der Psychotherapie. http://bit.ly/2n3Nhxv
Klaus Grawe (2004): Neuropsychotherapie, Göttingen: Hogrefe