artikeljanuar2023
Vertrauen trauen – die Kunst zu vertrauen
// Autor: Stefan Marti //
Vertrauen ist in allen Lebensbereichen von hoher Bedeutung. Vertrauen ist das Fundament produktiver Zusammenarbeit und die Basis guter Führung. Gute Beziehungen sind ohne Vertrauen nicht vorstellbar. Vertrauen ist Kitt in Beziehungen und wohl der wichtigste Bestandteil guter Kommunikation. Vertrauen ist einerseits eine starke und verbindende Kraft und andererseits auch sehr zerbrechlich: leicht zu brechen, leicht zu verlieren und schwierig wieder aufzubauen. Mit diesem Artikel möchte ich zu einem differenzierten Verständnis des vielschichtigen Begriffes des Vertrauens beitragen. Ausgehend von der Frage, was unter Vertrauen überhaupt verstanden werden kann, werde ich drei Ebenen des Vertrauens beschreiben. Der Fokus der Ausführungen liegt auf der Beschreibung der Tiefenstruktur des Vertrauens, welche ich aus der Perspektive der Existenzanalyse (EA) und der Transaktionsanalyse (TA) beleuchten werde.
Auf der Basis dieses Verständnisses von Vertrauen werde ich nun - in Anlehnung die Metapher des Eisberges - drei Ebenen des Vertrauens beschreiben.
VERTRAUEN - DIE BRÜCKE ÜBER DEN FLUSS DER UNSICHERHEIT
Ich möchte Vertrauen aus der Perspektive der Existenzanalyse (EA) beschreiben, denn diese hat ein besonders griffiges Verständnis von Vertrauen. Vertrauen ist die Einwilligung, sich einer haltgebenden Struktur zu überlassen, um die wahrgenommene Unsicherheit (Risiko) zu überbrücken. Vertrauen steht in einem engen Zusammenhang mit der Angst: wo Vertrauen weicht, nimmt die Angst zu. Vertrauen ist - bildlich gesprochen - die Brücke über den Fluss der Unsicherheit. Die Basis des Vertrauens ist die Tragfähigkeit, die Festigkeit bzw. die Konstanz. Es muss etwas da sein und stark oder gross genug, um mich zu halten oder auffangen zu können. Darin besteht die Vertrauens-Würdigkeit (z.B. der Halt eines Seiles oder die Verlässlichkeit des Anästhesisten). Unsicherheit kann nur in der Haltung des Vertrauens überwunden werden. Ist Vertrauenswürdigkeit gegeben, kann die Prüfung und Kontrolle – das heisst die innere Zurückhaltung zur eigenen Sicherheit - abgegeben werden und es entsteht Vertrauen (Längle/Bürgi 2014). Ganz praktisch zeigt sich Vertrauen beispielsweise auch in der Gewissheit, dass getroffene Vereinbarungen vom Gegenüber eingehalten werden. Oder in der Erwartung, dass ein Gegenüber wohlwollendes Verhalten zeigen wird, obwohl dieses die Möglichkeit hätte, andere, nicht wohlwollende Verhaltensweisen zu wählen. Wer vertraut, verzichtet auf Sicherheit. Damit macht man sich verwundbar. So gesehen ist Vertrauen eine (riskante) Vorleistung. Es zeigt sich erst im Nachhinein, ob das Vertrauen gerechtfertigt war oder nicht. Vertrauen ohne 'Risiko' ist kein Vertrauen. Unsicherheit ist im Vertrauen immer präsent. Vertrauen hat zwei Pole: Den Mut auf der subjektiven Seite und den Halt auf der objektiven, äusseren Seite. Der subjektive Pol bezieht sich auf sich selbst: der Mut und das Selbstvertrauen. Selbstvertrauen ist das Vertrauen in den Halt in sich selbst, in die eigenen Fähigkeiten und ein Vertrauen in das Durchhaltevermögen der eigenen Fähigkeiten. Aus diesem Selbstvertrauen resultiert auch der Mut, sich auf das Restrisiko einzulassen. Vertrauen geschieht nicht automatisch, ist kein Reflex, sondern eine Entscheidung auf der Basis eines Gefühls (Längle 2009).Auf der Basis dieses Verständnisses von Vertrauen werde ich nun - in Anlehnung die Metapher des Eisberges - drei Ebenen des Vertrauens beschreiben.
Abb. 1 Vertrauen – die Brücke über den Fluss der Unsicherheit
Eigene Darstellung an Anlehnung an Längle (2009)
ERSTE EBENE: DIE VERTRAUENSBASIS UND IHRE WIRKUNG
Vertrauen ist das Fundament gelingender Zusammenarbeit. Eine starke Vertrauensbasis äussert sich sowohl in Form von tragfähigen Beziehungen als durch eine Vertrauenskultur. Vertrauen macht Beziehungen robust, belastbar und damit auch fehlerverzeihend. Vertrauen ist die ‘einfachste’ Art der Komplexitätsreduktion in Beziehungen und senkt die Transaktionskosten in der Kommunikation, da unproduktives Kontroll- und Absicherungsverhalten ausbleiben kann. Eine starke Vertrauensbasis zeigt sich in einer offenen Feedback- und Konfliktkultur sowie in einem konstruktiven Umgang mit Fehlern. Auf der individuellen Ebene äussert sich Vertrauen auch in der Erfahrung, dass man sich für mich einsetzt, dass ich respektvoll behandelt, nicht fallen gelassen oder missachtet werde. Fehlendes Vertrauen oder Misstrauen führt zur Angst, sich mit seiner Meinung zu exponieren oder Fehler zu machen. Dies führt zu Absicherungsverhalten und einer Kultur der ‘Friedhöflichkeit’. Angst ist wohl der grösste Killer für Kreativität und Verantwortungsübernahme. Es ist daher eine zentrale Führungsaufgabe, ein angstfreies Klima zu schaffen.
ZWEITE EBENE: WAS VERTRAUEN STÄRKT UND SCHWÄCHT
Vertrauen ist das Resultat von Haltungen und von konkretem Verhalten. An dieser Stelle möchte ich mich auf ein paar generelle Hinweise beschränken. Weitergehende Ausführungen zur Schaffung einer Vertrauenskultur im Führungskontext finden Sie auf meiner Website in einem separaten Artikel.
Vertrauen bringt Vertrauen hervor
Vertrauen ist die Folge von Ehrlichkeit, Redlichkeit, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Wer Vertrauen schaffen will, muss charakterliche Integrität haben. Darüber hinaus ist Vertrauen auch eine Frage des guten Willens. Wir vertrauen dort, wo ein grundsätzliches gegenseitiges Wohlwohlen und eine Wohlgesinntsein spürbar ist. Wir misstrauen denen, die für unsere Anliegen taub erscheinen. Wer Vertrauen will, muss Vertrauen säen! Vertrauen setzt eine positive Spirale in Gang. Menschen, denen man zu Recht und in vollem Umfang vertraut, werden das Vertrauen zurückgeben. Zu vertrauen ist auch eine Entscheidung: Vertrauen zu schenken, einen Vertrauensvorschluss zu geben. Der vielleicht beste Weg, um herauszufinden, ob man jemandem vertrauen kann, ist, ihm zu vertrauen (Ernest Hemingway). Ängstlichkeit, Übervorsichtigkeit, generelles Misstrauen oder Kontrollwahn sind ‘sichere’ Wege, Vertrauen zu verhindern. Ebenso blindes Vertrauen, also ein Vertrauen ohne Prüfung der Vertrauenswürdigkeit.
Vertrauen ist auch ein zerbrechliches Gut
Vertrauen kann man nicht ‘machen’ - echtes Vertrauen kann man nur durch Erfahrung gewinnen. So zeigt sich beispielsweise in Konflikten oder Krisen, wie tragfähig eine Beziehung wirklich ist. Vertrauen gründet in der Realität – in der Erfahrung, dass der Halt trägt. Vertrauen wird mit Beständigkeit aufgebaut und beinhaltet eine Paradoxie: Vertrauen ist einerseits eine starke Kraft – kräftig wie ein Baumstamm. Und andererseits ist Vertrauen auch sehr zerbrechlich: leicht zu brechen, leicht zu verlieren und schwierig wieder aufzubauen. Vertrauen ist daher auch wie eine zarte Pflanze. Vertrauen zu verlieren, dauert Sekunden, es kann jedoch Jahre dauern, bis sich das Vertrauensgefühl wieder verankert hat (Längle 2009). Missbrauchtes Vertrauen kann Vertrauen zerstören. Eine Entschuldigung genügt in aller Regel bei erschüttertem Vertrauen nicht. Nur durch erneute positive Erfahrungen, die man immer wieder erlebt, kann das erschütterte Vertrauen wiederaufgebaut werden. Vertrauen nachhaltig aufzubauen ist daher eine Frage der sozialen und emotionalen Kompetenz. Diese Kompetenzen stehen insbesondere in Stress- und Konfliktsituationen sowie bei Fehlern auf dem Prüfstand. In kritischen Situationen zu überreagieren, aus der Haut zu fahren, emotional zu entgleisen und verletzendes Verhalten zu zeigen, führen mit grosser Sicherheit zu Vertrauenseinbrüchen.
Ich-Zustände: Ressourcen und persönliche ‘Aufpassfelder
’In diesem Zusammenhang ist das Modell der Ich-Zustände, ein Kernkonzept der TA, sehr aufschlussreich. Dabei werden gemäss Stewart/Joines fünf verschiedene Ich-Zustände unterschieden: Das kritische und das fürsorgliche Eltern-Ich, das Erwachsenen-Ich sowie das freie und das angepasste Kind. Für Vertrauen und Selbstvertrauen sind die grundlegenden Qualitäten aller Ich-Zustände notwendig. Und: alle fünf Ich-Zustände weisen sowohl produktive als auch unproduktive Anteile auf. Während die positiven Aufprägungen vertrauensbildend wirken, können die negativen Ausprägungen aller fünf Ich-Zustände zum Verlust von Vertrauen führen. Das Modell der Ich-Zustände der TA bietet daher eine gute Grundlage für die persönliche Selbstreflexion und zeigt persönliche Neigungen, Aufpassfelder und ‘Fallgruben’ auf. Sehr kopflastig argumentierende Personen – um ein Beispiel zu nennen – kommen ohne Vertrauen meist an eine Grenze. Vertrauen als eine Beziehungsqualität braucht die vertrauenden Qualitäten aus dem fürsorglichen Eltern-Ich oder aus dem Kind-Ich. Damit Vertrauen nicht blind, sondern ‘sehend’ erfolgt, braucht es ein gutes Erwachsenen-Ich. So führt – um ein weiteres Beispiel zu nennen – unbeherrschtes, aggressives oder strafendes Verhalten aus dem kritischen Eltern-Ich zur Irritation des Vertrauens. Ängstliche oder konfliktvermeidende Persönlichkeitsanteile aus dem angepassten Kind – um ein letztes Beispiel zu nennen – sind für das eigene Selbstvertrauen nicht förderlich. Die negativen Anteile der Ich-Zustände kommen vor allem auch in Stress- und Konfliktsituationen zum Vorschein. Und gerade in konfliktären und spannungsgeladenen Schlüsselsituationen steht – wie oben beschrieben - das Vertrauen besonders auf dem Prüfstand. Deshalb ist es von hoher Bedeutung, seine persönlichen Konflikt- und Stressmuster sowie Triggerpunkte und Vulnerabilitäten zu kennen. Wer diese kennt, ist eher in der Lage, sich in Drucksituationen selbst zu steuern und damit vertrauenszerstörendes Verhalten zu vermeiden.
DRITTE EBENE: DIE TIEFENSTRUKTUR
Die dritte Ebene ist die Tiefenstruktur des Vertrauens. Es ist der Sockel des persönlichen Vertrauens oder - um in einer Metapher zu sprechen - der untere Teil des Eisberges. Dieser Teil ist nicht direkt sichtbar. Während das Verhalten gelernt und eingeübt werden kann, geht es beim unteren Teil des Eisberges eher darum, ein gutes Bewusstsein darüber zu entwickeln. Denn dieser wirkt in Drucksituationen auch als ‘Autopilot’. Abb. 2 gibt einen Überblick über die Inhalte des Eisbergs. Diese Tiefenstruktur zu kennen, ist gerade auch im Zusammenhang mit Vertrauen entscheidend. Der Sockel besteht sowohl aus Ressourcen als auch aus persönlichen Prägungen und Mustern, welche negativen Einfluss auf Vertrauen und Selbstvertrauen haben können. Aus dem vielfältigen Themenkreis der Tiefenstruktur möchte ich einige besonders wesentliche Aspekte herausgreifen und beschreiben.
Persönliche Prägungen und Trübungen
Vertrauen ist ein Beziehungsthema. Daher erachte ich es als sehr bedeutsam, meine persönlichen Beziehungserfahrungen und Prägungen zu kennen. So ist es wichtig zu wissen, wie meine persönliche Geschichte mich geprägt hat und wie diese mein heutiges Verhalten als erwachsene Person beeinflusst. Nicht wenige Menschen tragen eher negative Beziehungserfahrungen in sich, was es schwierig machen kann, als erwachsene Person dann wirklich zu vertrauen. Für die Entwicklung eines Kindes ist das erlebte Vertrauen zentral. Ohne Vertrauen und Zutrauen ist die Entwicklung eines guten Selbstvertrauens erschwert. Aus der im Laufe der eigenen Lebensgeschichte gemachten Beziehungserfahrungen resultieren Überzeugungen und Glaubenssätze. Diese sind jedoch nicht selten auch getrübt. Mit dem Begriff ‘Trübungen’ meint die TA unüberprüft übernommene und für wahr gehaltene Glaubenssätze oder Vorurteile wie beispielsweise: „Man darf niemandem wirklich trauen“ oder „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ oder „Wenn ich die Zügel zu locker in der Hand habe, laufe ich Gefahr, dass mein Vertrauen missbraucht wird“ oder „Wenn ich einen Fehler mache, denkt man schlecht über mich“. Überzeugungen dieser Art beeinflussen massgeblich das persönliche Verhalten. Deshalb ist es wichtig, seine persönlichen Überzeugungen immer wieder auf den Prüfstand zu legen im Sinne von: «Stimmt es eigentlich, dass…?». Dies hilft, auf eine innere Distanz zu seinen Meinungsgewohnheiten und vermeintlichen Überzeugungen zu kommen.Abb. 2 Eisberg des Vertrauens. Eigene Darstellung in Anlehnung an Göpf Hasenfratz
Einschärfungen
Besonders einschränkend können auch sogenannte Einschärfungen wirken. Unter Einschärfungen versteht man in der TA Grundverbote und destruktive Botschaften, die in früher Kindheit meist in nonverbaler Weise auf uns eingewirkt haben und von unseren Eltern oder deren Ersatzpersonen unbewusst vermittelt wurden. Im Zusammenhang mit Vertrauen und Selbstvertrauen sind die folgenden Einschärfungen besonders beeinträchtigend: «Vertraue nicht! Trau niemandem!» oder «Schaff es nicht - nichts wird dir gelingen!» oder «Unternimm nichts, entscheide nichts - sonst endet es mit einer Katastrophe» oder «Werde nicht erwachsen - werde nicht selbständig!». Dass Einschärfungen dieser Art massiven Einfluss auf das persönliche Verhalten als erwachsene Person haben, ist selbstsprechend.
Selbstvertrauen und das tiefe Vertrauen
Ein weiterer sehr bedeutsamer Themenkreis innerhalb der Tiefenstruktur sind die Themen Selbstvertrauen sowie das tiefe Vertrauen. Selbstvertrauen ist das Vertrauen in sich selbst, in das eigene Können und das Vertrauen in das Durchhaltevermögen der eigenen Fähigkeit. Wie weiter oben im Zusammenhang mit der Vertrauensbrücke dargestellt, stellen Mut und Selbstvertrauen den unverzichtbaren Innenpol des Vertrauens dar. Die Basis des Vertrauens ist das tiefe Vertrauen. Der letzte Grund des Vertrauens – die Tiefe des Vertrauens, besteht aus Sicht der Existenzanalyse aus den drei Komponenten: Unbedingte Selbsttreue, Urvertrauen und Grundvertrauen (Längle 2009 und 2014). Die unbedingte Selbsttreue ist ein Vertrauen in die Fähigkeit und Bereitschaft, sich selbst unbedingt treu zu sein und unter allen Umständen zu sich zu stehen. Die unbedingte Selbsttreue äussert sich im Gefühl: «Ich bin bei mir aufgehoben». Das Urvertrauen stammt aus prägenden Früherfahrungen der ersten Lebensjahre, dass Menschen in lebenswichtigen Zeiten bedingungslos zu einem gehalten haben. Es ist ein anhaltendes Grundgefühl des Versorgtseins; dass jemand da ist, wenn man ihn braucht. Das Grundvertrauen ist der letzte Grund von allem Vertrauen und bezieht sich auf die Erfahrung, dass immer etwas da ist, das auffängt und Halt gibt. Das Grundvertrauen läuft auf das Gefühl hinaus, dass es «nie aus ist, sondern immer irgendwie weitergeht.» Bei gutem Ur- und Grundvertrauen fällt das Vertrauen leichter. Der im tiefen Vertrauen geborgene Mensch ist geborgen – komme, was wolle. Das tiefe Vertrauen hat eine spirituelle Dimension: Ein Vertrauen auf etwas Unsichtbares, mich Überschreitendes (Transzendenz). Für die Stärkung des tiefen Vertrauens bestehen in allen Weisheitstraditionen kraftvolle Übungswege.Dies waren einige Hinweise zur Tiefenstruktur des Vertrauens. Wie einleitend ausgeführt genügt es nicht, sich des adäquaten Verhaltens bewusst zu sein bzw. Verhalten einzuüben. Vielmehr geht es darum die ‘Innenseite des Verhaltens’ – die Tiefenstruktur zu kennen. Denn Verhalten lässt sich zwar einüben, aber die inneren Vorgänge folgen nicht demselben Lernmodell, und gerade sie bestimmen ‘im Ernstfall’ entscheidend mit über die Qualität des Zwischenmenschlichen. Wer Spielball seiner psychischen Kräfte ist, kann schwerlich gelassen und umsichtig handeln. Deshalb erachte ich eine gute Selbstkenntnis sowie das Investieren in das eigene persönliche Wachstum als unerlässlich, wenn es das Thema Vertrauen geht.
Abb. 3 Vertrauenskreuz, eigene Darstellung in Anlehnung an Bernhard Schibalski (Seminarunterlagen)
DAS VERTRAUENSKREUZ NACH SCHIBALSKI
Abschliessend möchte ich noch auf das Konzept der Grundpositionen eingehen. Grundpositionen sind die grundlegenden Überzeugungen, die jemand über sich selbst und die anderen Menschen gewinnt. Besonders deutlich zeigen sich die Grundpositionen in Krisen und bei grösseren Herausforderungen. Die Grundpositionen sind entscheidend dafür, wie wir im Zusammenspiel mit unseren Mitmenschen unser Leben gestalten. Die TA unterscheidet die vier Grundpositionen: (1) Ich bin ok / du bist ok, (2) Ich bin ok / du bist nicht ok, (3) Ich bin nicht ok / du bist ok, (4) Ich bin nicht ok / du bist nicht ok. Das Konzept der Grundpositionen ist mit Blick auf das Thema Vertrauen besonders aufschlussreich. Mein langjähriger Ausbildner Bernhard Schibalski, lehrberechtigter Transaktionsanalytiker im Bereich Organisation, hat das Konzept der Grundpositionen in den Kontext von Vertrauen und Selbstvertrauen gestellt und in der Form des ‘Vertrauenskreuzes’ ausdifferenziert. Dieses aufschlussreiche Konzept möchte ich – auch im Sinne einer Zusammenfassung dieses Artikels – näher ausführen.Entscheidend für gute oder schlechte Kommunikation ist die Vertrauensorientierung des Kommunikators: Vertrauen in sich selbst, also Selbstvertrauen, und Vertrauen in die Umwelt, mit der er kommuniziert. Wie Abb. 3 zeigt, müssen die Dimensionen Vertrauen und Selbstvertrauen in einem Zusammenhang gesehen werden. Ein autonomes, offenes Kommunikationsverhalten ist nur in der Kombination von Vertrauen und Selbstvertrauen möglich. Alle anderen Kombinationen führen zu unproduktiver Kommunikation und Zusammenarbeit.
Bei grossem Selbstvertrauen und Vertrauen in andere ist unser Verhalten autonom und unabhängig und wir sind für andere offen. Wir nehmen unsere Bedürfnisse wie auch die Bedürfnisse anderer wahr und sind bestrebt, sie in unseren Handlungen zu berücksichtigen. In Verbindung mit Misstrauen gegenüber anderen wird das Selbstvertrauen zur Überheblichkeit. Wenn die Missbilligung der anderen dazu dient, das Selbstvertrauen hochzuhalten, empfinden wir dieses Verhalten als arrogant-aggressiv. Ich muss den anderen klein machen, um mich überlegen fühlen zu können. Die Gegenposition ergibt sich aus der Kombination von Selbstzweifeln und Vertrauen in andere bzw. Hoffnung auf andere. Aus dieser Position des ‘Ich bin nicht o.k. – du bist o.k.’ werten wir uns selbst ab und empfinden uns als abhängig von anderen und ihrer Hilfe. Wir machen uns selbst klein, um anderen zu gefallen bzw. ihre Zuneigung zu bekommen. In der Kombination von Selbstzweifeln und Misstrauen in andere empfinden wir uns in einer hoffnungslosen Situation, in der uns alles sinn- und nutzlos erscheint.
Auch wenn wir uns zeitweilig in allen vier Grundpositionen erleben können, so werden wir möglicherweise dennoch entdecken, dass uns eine der Positionen vertrauter erscheint, wir diese Position häufiger bzw. intensiver einnehmen als die anderen Positionen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir diese Position im Konfliktfall einnehmen, wenn das Selbstvertrauen und das Vertrauen in andere in Frage gestellt werden. Pauschale Einschätzungen wie: «Im Grossen und Ganzen habe ich schon genügend Selbstvertrauen und Vertrauen in andere» sollten vermieden werden, denn sie sind wertlos, da sie die tatsächliche Situation tröstend verschleiern. Besser ist es, sich zu fragen: «In welchen spezifischen Situationen, im Zusammenhang mit welchen Personen, fühle ich mich besonders stark und fähig?» bzw. «Wann schwindet mein Vertrauen schlagartig?» Antworten auf diese Fragen bringen uns vermutlich weiter, weil sie näher an die Ursachen für Vertrauenseinbrüche führen.
Mit diesem Artikel ging es mir darum, ein differenziertes Verständnis zum vielschichtigen Begriff des Vertrauens zu entwickeln. Dabei dürfte deutlich geworden sein, dass der Weg zu vertrauensvollen Beziehungen kaum über das Einüben von neuen Verhaltensweisen gelingen kann. Vielmehr braucht es dazu Bewusstsein, Entschiedenheit und – vor allem – die Auseinandersetzung mit der eigenen Person, den eigenen Prägungen und Mustern. Dies bedeutet ein Investieren in persönliches Wachstum. Für die persönliche Lebensführung ist es eine entscheidende Frage, ob ich aus dem Vertrauen und der Gelassenheit oder eher aus der Angst lebe. Zweiteres tendiert immer wieder dazu, sich Sicherheiten zu schaffen und die Kontrolle behalten zu wollen. Da Vertrauen in allen Lebensbereichen von höchster Bedeutung ist, könnte die Arbeit an sich selbst durchaus auch als ‘seelische Vermögensbildung’ aufgefasst werden.
Literaturverzeichnis
Längle A (2009): Lernskriptum zur Existenzanalyse – die 1. Grundmotivation. GLE-International, Wien
Längle A / Bürgi D (2014): Existentielles Coaching. Facultas Verlag, Wien
Längle A (2013): Lehrbuch zur Existenzanalyse – Grundlagen. Facultas Verlag, Wien
Marti S (2019): Herausforderung Selbstführung. Eigenverlag, Winterthur
Marti S (2019): Toolbox Führung, 13. Auflage. Eigenverlag, Winterthur
Marti S (2020): Kompetent und wirkungsvoll Wandel gestalten. Eigenverlag, Winterthur
Schibalski B (1984): Persönlichkeitsentwicklung und Organisationsziele. In: Zeitschrift für Transaktionsanalyse. Junfermann Verlag, Paderbron
Schibalski B (1989): Transaktionsanalytische Ansätze der Führungskräfte-Entwicklung. In: Zeitschrift für Transaktionsanalyse. Junfermann Verlag, Paderbron
Schlegel L (2002): Handwörterbuch der Transaktionsanalyse. 2. Auflage. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau
Stewart I / Joines V (1990): Die Transaktionsanalyse. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau
Stefan Marti
Freiberuflicher Organisationsberater und Coach bso
Dipl. phil. II. Naturwissenschaftliches und ökonomisches Studium
Mehrjährige Aus- und Fortbildungen in systemischer Beratung, Transaktionsanalyse und Existenzanalyse
Arbeitsschwerpunkte: Organisations-, Team- und Führungsentwicklung, Supervision, Persönlichkeitsentwicklung, Coaching und persönliche Wegbegleitung
Dozent an der Kalaidos Fachhochschule in Organisationsentwicklung und Führung
Buchautor
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Dipl. phil. II. Naturwissenschaftliches und ökonomisches Studium
Mehrjährige Aus- und Fortbildungen in systemischer Beratung, Transaktionsanalyse und Existenzanalyse
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Dozent an der Kalaidos Fachhochschule in Organisationsentwicklung und Führung
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