Eine warme WohlFühl-Dusche statt perfekt sein zu müssen -
vom umgang mit einem fiesen antreiber
vom umgang mit einem fiesen antreiber
Sind Antreiber nicht auch fördernd in einer Leistungsgesellschaft? Genauigkeit, Unabhängigkeit, Durchhaltevermögen, Freundlichkeit und Schnelligkeit – sind das nicht Eigenschaften, die in unserer Gesellschaft von wichtiger Bedeutung sind und unsere Kinder zu guten Leistungen anspornen? In der Schule ist Bewertung von Leistung ein zentrales Thema, auch wenn heute von «Kompetenzstufen» gesprochen wird und die «Leistung» an Bedeutung verlieren soll. Das Kompetenzkonzept an den Schulen ist mit Pisa gross geworden, der Idee von Messbarkeit mit standardisierten Tests in internationalen Schulleistungsuntersuchungen. Die Qualität von Bildungsinhalten, pädagogischen Konzepten lässt sich so nicht verbessern, die Bedürfnisse der Kinder werden kaum beachtet.
Taibi Kahler und seine MitarbeiterInnen haben das «Konzept der Antreiber» in die Transaktionsanalyse (TA) eingeführt. Die Antreiber gehören zu einem umfassenden Verhaltensmuster das Kahler «Miniskript» nannte. Das Konzept beschreibt das übertriebene und unpassende Ausleben dieser Eigenschaften. Der Antreiber zwingt den Menschen zum entsprechenden Verhalten, er kann nicht mehr wählen.
Der Ablauf des Miniskripts dauert einige Sekunden bis einige Minuten, die Positionen können unterschiedlich durchlaufen werden.
Nora kommt mit ihrem Vater im Kindergarten an. Sie verabschieden sich und Nora zieht sich in der Garderobe um. Sie begrüsst die anderen Kinder, Neuigkeiten werden ausgetauscht. Ich werfe einen Blick in die Garderobe und mache die Kinder auf die Zeit aufmerksam. Nora erlebt sich nur noch als bedingt ok und ihre Antreiber, insbesondere «sei perfekt» werden wirksam. Sie erschrickt, blickt mich reumütig an und gerät in die 2. Position, wo sie sich weiterhin als nicht ok erlebt und beschuldigt die anderen Kinder, sie nicht in Ruhe gelassen zu haben. Dadurch gerät sie in die 3. Position, sie tadelt die anderen Kinder und fühlt sich wieder ok. Bald kommt sie in den Raum, nimmt mich an der Hand und führt mich in die Garderobe, um mir zu zeigen, dass ihre Kleider alle am vorgesehenen Platz sind. Perfekt, Nora hat ihren Antreiber «sei perfekt» nach einem Umweg über das Miniskript doch noch erfüllen können. Nochmals bedient sie ihren Antreiber, indem sie mich auch darauf aufmerksam, dass nicht alle Kinder ihre Schuhe schön hingestellt haben. Nora sucht eine Bestätigung für ihr perfektes Verhalten. Diesen Wunsch möchte ich so nicht erfüllen, um ihren Antreiber nicht zu unterstützen. Ich lobe sie für ihr Erinnerungsvermögen an die Ordnungsregeln in der Garderobe und freue mich über ihren Kontakt zu den anderen Kindern. Ich frage Nora, was sie in der Garderobe erzählt hat, um ihr die Erlaubnis zu geben Freude am Austausch mit den anderen zu haben.
Nun möchte Nora ein Spiel spielen nur mit mir allein. Dazu bin ich nicht bereit, ich möchte sie wieder in die Gruppe führen und ihr keine Gelegenheit geben in die «Verzweiflung» (4. Position) zu geraten. Sie hat in der Garderobe ihre Freundinnen zu Unrecht bei mir angeschuldigt und braucht jetzt Unterstützung, um wieder zu ihnen zu finden. Ich biete ihr ein Spiel an, in welchem kooperatives Verhalten zum Ziel führt und es keine Sieger oder Verlierer gibt. Sie holt die betroffenen Kinder und wir spielen zusammen.
Die Antreiber bei den Kindern zu fördern, hilft ihnen kaum bessere Leistungen zu erreichen. Mit gezielten Erlaubnissen versuche ich Nora immer wieder dabei zu unterstützen, ihrem Antreiber nicht mehr zu gehorchen und sie von nichterreichbaren Zielen zu befreien.
Gezielte Erlaubnis: Du bist gut genug, so wie du bist, du darfst Fehler machen!
Neben dem Nicht-ok-Miniskript gibt es auch das Ok-Miniskript. Hier wird «Einhalt» durch Motivation, «Tadel» und «Verzweiflung» durch Freude ersetzt und es entsteht ein motivierender, konstruktiver Kreislauf.
Glücklicherweise wollen Kinder üben! Sie wiederholen Fertigkeiten, bis sie diese beherrschen – vom ersten Stehen bis zum ersten Schritt übt das Kind unermüdlich. Vorausgesetzt es fühlt sich ausreichend geborgen und nicht so allein gelassen, dass seine Neugier erlahmt. Kinder lernen, weil sie dafür Anerkennung erhalten. Können sie dabei schöne Beziehungserfahrungen machen, spannende Inhalte kennen lernen und sich kompetent fühlen sind sie motiviert zum Lernen.
Die TA bietet uns eine Fülle von Konzepten, die uns helfen das Kind in seiner Lernfreude zu unterstützen.
Ich erzähle hier von meinen Erfahrungen in einem öffentlichen Kindergarten in Zürich, mit der Überzeugung, dass sich diese Anwendungsmöglichkeiten der TA auch auf alle anderen Schulstufen anpassen lassen.
Im Kindergarten versammeln sich die Kinder im Kreis. Es hat sich bewährt, den Kindern die Möglichkeit zu geben ihr Befinden zu spüren und zu zeigen. Dazu hat jedes Kind die Kreisgesichter mit den 4 Grundgefühlen zur Verfügung. Die TA geht davon aus, dass ein Baby von der ersten Sekunde an die Gefühle Freude, Wut, Trauer und Angst zeigen und ausleben kann.
Jedes Kind legt das passende Gefühl vor sich hin. Um Unstimmigkeiten auszuräumen und eine gute Stimmung für das Einzelne und die Gruppe zu erreichen, frage ich jedes Kind nach dem gewählten Gefühl. Wütende Kinder erhalten die Gelegenheit ihre Wut in den Boden zu stampfen, in die Luft zu boxen oder herauszuschreien. Traurige Kinder suchen sich ein anderes Kind aus, von dem sie sich festhalten und trösten lassen. Angstgefühle sind selten aktuell, bei der Erarbeitung der einzelnen Grundgefühle, behaupten viele Kinder, insbesondere Knaben, nie Angst zu haben, eventuell ein Hinweis perfekt sein zu müssen. Ab und zu erzählen die Kinder aber von Träumen, die ihnen Angst gemacht haben. Das Erzählen hilft ihnen die Angst nochmals zu spüren und aus dem Gefühl heraus zu finden. Können alle Kinder sich wieder freuen singen wir ein passendes Lied, mit dem die Kinder, auch mit Bewegung ihre Freude ausdrücken können.
Über Gefühle zu sprechen hilft den Kindern ihre eigenen Emotionen im Blick zu haben. Emotionen zu versprachlichen, unterstützt sie in der Steuerung ihres Gefühlslebens. Gefühle in der eigenen, persönlichen Ausprägung sind Folgen eines anhaltenden Lernprozesses, beeinflusst durch die Interpretation von Situationen, Reaktionen, ihren Zusammenhängen und Auswirkungen. Dadurch entstehen die unterschiedlichen Gefühle der jeweiligen Menschen in ähnlichen Situationen. Durch die täglichen Gespräche in verschiedenen Situationen, verstehen die Kinder zunehmend auch die Gefühle der anderen anzunehmen.
Hilfreich ist es Möglichkeiten kennen zu lernen sich selbst zu guten Gefühlen zu verhelfen.
Kinder probieren gerne viele verschiedene Arten von Verhalten aus, um herauszufinden, welche davon ihnen Zuwendung bringen und welche nicht. Sie lernen, welches positive oder negative Verhalten die Strokezufuhr aufrechterhält. Hat das Kind das Gefühl zu wenig Anerkennung zu bekommen, kämpft es um mehr. Erhält es vorwiegend negative Beachtung, wird es sich um diese bemühen, um nicht komplett auf Strokes verzichten zu müssen.
Die Kinder in unserem Kindergarten können Strokes einfordern, indem sie eine warme Wohlfühl-Dusche geniessen. Eine Halbkugel symbolisiert einen Duschkopf. Die farbigen Papierstreifen stellen das warme Wasser dar und schützen das Kind auch vor Blicken. Das Kind setzt sich unter die warme Dusche und erhält von jedem Kind und auch von mir eine positive Zuwendung. Anfänglich geben die Kinder viele bedingte Strokes zu Kleidung und Aussehen. In dieser Situation achte ich darauf in meiner Vorbildfunktion ausschliesslich unbedingte Zuwendung zu formulieren, wie beispielsweise «du kannst schön singen».
Das Angebot wird oft gebraucht, es werden zuweilen auch «Probleme» erfunden, um sich eine warme Wohlfühl-Dusche zu gönnen. Dies ist der Moment, die Kinder erleben zu lassen, dass sie Zuwendung um der Zuwendung willen verlangen dürfen, «einfach so, weil ich es möchte».
Strokes erlauben den Kindern sich selbst zu guten Gefühlen zu verhelfen:
Die Konzentration und die Neugier für die anschliessende Kreissequenz sind bei den meisten Kindern nun gegeben. Die Aufgabe für den heutigen Tag weckt das Interesse der Kinder, sei das die Einführung eine Bastelarbeit, eines Spiels, einer neuen Technik, eines Liedes oder das Erzählen und Darstellen einer Geschichte. Im Kreis kann ich für alle Kinder gleichzeitig erklären und vorzeigen, ich kann die Kinder für einzelne Schritte einbeziehen. Stelle ich ein Beispiel für eine Bastelarbeit vor, ist das für Kinder, die meinen perfekt sein zu müssen, schwierig. Darum ist es wichtig den Kindern immer wieder zu erklären, dass ich schon viele Jahre üben konnte und sie selbst, es so gut machen dürfen, wie es ihnen gelingt. «Sei perfekt»-Kinder brauchen zusätzliche Unterstützung, um mit ihrem Resultat zufrieden zu sein. Insbesondere Nora, die sprachlich und mathematisch von ihren Eltern gefördert wird, motorisch, aber ungeschickt ist. Kinder, die denken sie hätten die gestellte Aufgabe verstanden, dürfen sich ihren Arbeitsplatz einrichten. Es stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, entweder Einzelplätze oder unterschiedlich grosse Gruppentische. Es ist eine grosse Herausforderung einen Arbeitsplatz auszuwählen, der dem einzelnen Kind erlaubt die gestellte Aufgabe zu erfüllen. Die beste Freundin kann vielleicht gute Unterstützung anbieten, aber auch viel Ablenkung. Die Nachbesprechung im Kreis hilft den Kindern für sie sinnvolle Arbeitskombinationen zu finden.
Viele Kinder erleben bereits im Kindergartenalter einen hektischen Alltag und werden durch Zeitdruck und hohe Anforderungen teilweise in ihrer Selbständigkeit und Selbstverantwortung gehindert. Wichtig ist jedoch, dass die Kinder sich die Zeit nehmen dürfen, die sie für ihre Entwicklung brauchen. Daraus entstehen ganz normale Konflikte mit sich und anderen. Wir können die Kinder unterstützen ihre Persönlichkeit in ihrem eigenen Tempo zu entwickeln, ihnen genügend Zeit zur Entfaltung zu gewähren und unsere geduldige Unterstützung anzubieten. Den Wert von positiven Beziehungen auch in Lernbeziehungen zu erleben und einen sinnvollen Umgang mit ihren Gefühlen zu üben, stärkt die Kinder in ihrer weiteren Entwicklung. Die Grundeinstellung «ich bin ok, du bist ok» ist eine Voraussetzung für eine sinnvolle Arbeit im Klassenzimmer.
monique.naef@bluewin.ch