Editorial

Das Info im neuen Gewand

Dr. Michael Kercher
Liebe Leserinnen und liebe Leser,
die neue Ausgabe des info kommt in einem neuen Gewand daher. Im Einklang mit dem thematischen Schwerpunkt von Professionalität und Profession, wurde das Layout aktualisiert und so erweitert, dass die Artikel nun auch über die neue Webpräsenz der DSGTA ebenso online verfügbar sind. Dieser Schritt in das Online-Zeitalter wurde im Vorstand im Rahmen der Kommunikationsstrategie beschlossen. Gleichzeitig behalten wir die gedruckte Ausgabe bei, die ihr gerade im neuen Format in den Händen hält. Wir sehen darin die Verbindung von Tradition und Aufbruch ins Neue; eine Professionalisierung. Dies wurde möglich durch einen Partner, dessen Profession es ist Webseite und Zeitung zu gestalten.
Inhaltlich erwarten euch spannende Artikel, die für sich alleine stehen und auch im Nachklang zum DSGTA Kongress hoffentlich schöne Erinnerungen wachrufen.
Margot Ruprecht und Benno Greter berichten über ihren gruppendynamischen Segeltörn und wie das Design als Teil einer Ausbildung die Professionalität angehender Transaktionsanalytiker und Transaktionsanalytikerinnen unterstützt.
Über die Profession und Identität als transaktionsanalytischer Psychotherapeut reflektiert Dr. Ingo Rath. Er berührt in seinem Artikel neben den ethischen Haltungen und Einstellungen die identitätstiftenden Konzepte aus der psychotherapeutischen TA.
Maya Bentele, die ihr Amt als EATA Delegierte und damit auch als Mitglied im Vorstand nach acht Jahren abgegeben hat, taucht mit uns tiefer in das für Transaktionsanalytiker bedeutende Thema Ethik ein, das sie unter Professionsgesichtspunkten beleuchtet.
Die Weiterentwicklung und die Zukunft der TA, die Dr. Bernd Schmid in seiner Arbeit immer stark am Herzen lag, steht auch im Zentrum seines Beitrages unter dem Titel Pluripotente Transaktionsanalyse.
In Fortführung der guten Tradition findet ihr in diesem info ebenfalls das Protokoll und die Berichte der DSGTA Generalversammlung die 2018 im Rahmen des Kongresses in Luzern stattfand.
Ich wünsche euch viel Freude beim Lesen, beim Reflektieren und beim Professionalisieren.

Schwerpunktthemen

Ethische Kompetenz in Beratung und Führung

Wie wird ethische Kompetenz beschrieben, welche Fähigkeiten gehören dazu, was bewirken diese und wie entstehen sie.
Maya Bentele
TSTA - O/C
maya@bentele.ch
Das Motto des diesjährigen DSGTA-Kongresses heisst «Professionalität und Profession als Transaktionsanalytikerin und Transaktionsanalytiker». Der Begriff der Professionalität wird oft verwendet, wenn zu beschreiben versucht wird, wie jemand eine Aufgabe oder einen Auftrag bewältigt. Die Frage ist, was ist denn nun genau gemeint, wenn gesagt wird, dass sich jemand ‹professionell› oder ‹unprofessionell› verhält. Oder auch, wie kommt es, dass professionelles Handeln möglich wird? Wesentliche Aspekte von Professionalität oder professionellem Handeln zeigen sich darin, ob jemand bewusst und kompetent handelt. Aber auch wie glaubwürdig und authentisch jemand wirkt und, ob jemand seine fachlichen Kompetenzen und Grenzen kennt und mit diesen angemessen umzugehen weiss. Dazu gehört auch, dass jemand klare Werthaltungen hat und diese glaubhaft abwägen und vertreten kann. Damit lässt sich etwas beschreiben, das sich mit dem Begriff ‹ethische Kompetenz› erklären lässt.
Der vorliegende Beitrag setzt sich mit der ethischen Kompetenz als einem spezifischen Aspekt von Professionalität auseinander. Es wird aufgezeigt, wie ethische Kompetenz beschrieben werden kann, welche Fähigkeiten dazu gehören, was diese bewirken und wie sie entstehen.
Was ist nun überhaupt ethische Kompetenz?
Ethische Kompetenz lässt sich mittels drei Grundfähigkeiten gut erfassen:
Die Fähigkeit zur Wahrnehmung, zur Bewertung sowie zur Urteilsbildung. Diese drei Fähigkeiten und deren Auswirkungen möchte ich nun etwas genauer beleuchten.
Fähigkeit zur Wahrnehmung:
Damit ist gemeint, dass jemand fähig ist, einen Sachverhalt oder eine Situation zu erkennen und als ethisch relevant einzuschätzen. Damit das möglich wird, braucht es einige Voraussetzungen. Eine wichtige Voraussetzung ist hier, dass jemand um ethische Fragestellung im jeweiligen Kontext weiss. Das heisst, dass eine Beraterin oder eine Führungskraft sich Gedanken dazu gemacht hat. Sie oder er braucht Bewusstheit darüber, welche Themen und Situationen ethische Implikationen haben können. Dies hilft, eine bewusste Aufmerksamkeit auf diese Aspekte zu erzeugen. Ganz im Sinne: «Man nimmt wahr, was man kennt.»

Beispiel:Eine Beraterin wird von der Personalchefin einer Organisation für einen Coaching-Auftrag angefragt. Im Erstgespräch stellt sich heraus, dass mehrere Personen Fragestellungen für ein Coaching haben. Bei zwei der Personen zeigt es sich, dass es sich um die Chefin und deren Assistenten handelt, die beide ein Einzel-Coaching wünschen. Die Thematik von Rollen und möglichen Rollenthemen ist der Beraterin vertraut, daher hat sie eine gute Wahrnehmung für mögliche Rollenkonflikte.

Fähigkeit zur Bewertung:
Es braucht Wissen und Wertvorstellungen, die dabei helfen, ethische Fragestellungen zu identifizieren und entsprechend zu gewichten. Aber auch Vorgehensweisen oder Hilfsmittel, die unterstützen können, den eigenen Standpunkt zu ergründen und abzuwägen.

Beispiel: Im beschriebenen Beispiel braucht die Beraterin also einerseits Fachwissen zum Thema Rollen und Rollenmanagement, Wissen um hierarchische Systeme und deren Arbeitsweise, sowie Ideen darüber, wem sie in welcher Weise Schutz bieten muss bzw. kann. Und nicht zuletzt muss sie ihre eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen können, um zu beurteilen, ob sie über genügend fachliche und beraterische Kompetenzen verfügt, um in diesem Kontext gute Arbeit zu leisten.

Fähigkeit zur Urteilsbildung:
Bei dieser Fähigkeit geht es darum, den eigenen Standpunkt zu finden und zu vertreten. Den eigenen Standpunkt zu finden heisst auch, sich bewusst zu sein, dass nicht alle Aspekte gleichermassen berücksichtigt werden können. Es braucht eine bewusste Bewertung und Entscheidung bezüglich der eigenen Position. Das bedeutet auch, die Folgen, die ein Standpunkt und die damit verbundene Entscheidung haben, abwägen zu können.

Beispiel: Beim hier erläuterten Beispiel wägt die Beraterin ab, dass sie den Schutz für die betroffenen Personen nicht sicherstellen kann, wenn sie mit Personen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen gleichzeitig arbeitet. Das hat unter anderem damit zu tun, dass es Abhängigkeiten gibt. Ausserdem schätzt sie ein, dass es ihr wohl nicht möglich ist, neutral zu bleiben, wenn sie von der Vorgesetzten Informationen über ihren Mitarbeiter bekommt und umgekehrt. Im Übrigen hat die Beraterin im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen in der Ausbildung für sich den Standpunkt entwickelt, dass sie achtsam wird, wenn sich Hierarchie-Ebenen vermischen. Für sich hat sie entschieden, dass sie, wenn immer möglich, dann Kollegen einbezieht. Daher schlägt sie der Personalchefin vor, dass sie selbst mit der Chefin arbeitet und empfiehlt einen Kollegen für das Coaching mit dem Assistenten. Die Personalchefin versteht zwar nicht ganz, was das Problem sein soll, lässt sich dann aber auf diese Art der Zusammenarbeit ein. Die Vorgesetzte reagiert mit grossem Verständnis und einer gewissen Erleichterung.


An diesem Beispiel wird deutlich, wie sich ethische Kompetenz zeigen kann. Die Wirkung davon war in diesem Fall, dass die Vorgesetzte sich sicher fühlt im Kontakt und Vertrauen entwickeln kann in die Beraterin. Das führt in der Regel dazu, dass Beratungsprozesse erfolgreich verlaufen können. Für die Beraterin hat dies allerdings zu Folge, dass sie einen Auftrag nicht annimmt und an einen Kollegen abgibt.
Wie entsteht nun ethische Kompetenz? Oder anders gefragt, wie lassen sich die oben beschriebenen Fähigkeiten entwickeln?
Bleiben wir zunächst bei der Fähigkeit zur Wahrnehmung. In einer TA-Ausbildung lernen Ausbildungskandidat/innen, die in Führungsfunktionen tätig oder als Berater/innen unterwegs sind, dass es wichtig ist, die eigene Wahrnehmung immer wieder zu hinterfragen. Sie werden darin unterstützt, sich mit ihren persönlichen Themen auseinanderzusetzen. Mit der Zeit erkennen sie, wann, wo und wie sie sich in Spiele einladen lassen. Aber auch was es braucht, um sich davor zu schützen und sich abzugrenzen. Ihr Erwachsenen-Ich wird gestärkt. Ein wichtiger Aspekt aus meiner Sicht ist ausserdem die Fähigkeit, auf der Metaebene reflektieren zu können.Die Fähigkeit zur Bewertung entsteht durch verschiedene Elemente. Theoretisches Wissen ist ein wichtiger Bestandteil (z.B. geistige Landkarten). Dies bildet die Grundlage, um zu diskutieren und sich eine Meinung zu bilden. Ausserdem ist es wichtig, dass Ausbildungskandidat/innen darin unterstützt werden, sich eine eigene Meinung zu bilden, anstatt sich an richtig oder falsch zu orientieren. Es geht vielmehr darum, einen Standpunkt einzunehmen, und diesen schlüssig vertreten zu können. Als Ausbildnerin ist es mir wichtig, dies ganz bewusst zu fördern. Dazu gehört auch, dass sich die Ausbildungskandidat/innen ihrer Werte und Werthaltungen bewusst werden. Die Basis dazu bildet das Menschenbild, das jede/r hat.
Die Fähigkeit zur Urteilsbildung führt dann dazu, dass sich Ausbildungskandidat/innen entscheiden können, welche Schwerpunkte sie für sich in ihrer Rolle als Vorgesetzte oder Berater/innen setzen. In gemeinsamen Diskussionen können sie voneinander lernen, wer warum wie entscheidet. Das hilft oft, sich bewusst zu werden, wo der eigene Standpunkt ist und wie in konkreten Situationen eine stimmige Entscheidung oder ein angemessenes Verhalten aussehen kann. Dabei ist es sehr wichtig, als Ausbildnerin darauf zu achten, dass diese Diskussionen in einer erlaubenden Atmosphäre stattfinden.
Das Erwachsenen-Ich einer ‹integrierten› Person, das Berne in «Die Transaktionsanalyse in der Psychotherapie» (Berne 1961/2001, S. 187 ff) beschreibt, enthält die drei Aspekte Ethos, ER / Logos und Pathos und kann den oben beschriebenen drei Fähigkeiten zugeordnet werden.
Logos enthält die Fähigkeit zur Wahrnehmung beziehungsweise objektiver Informationsverarbeitung, Ethos zeigt alle Aspekte, die in der Fähigkeit zu Bewertung oder in ethischem Verantwortungsbewusstsein enthalten sind und Pathos beschreibt die Art der Bezogenheit zu sich und anderen oder wie Berne es ausgedrückt hat, persönliche Anziehungskraft und Aufgeschlossenheit, die notwendig ist, um abzuwägen und zu entscheiden.
Die Verbindung oder Integration dieser drei Fähigkeiten führen am Ende dazu, dass jemand ethisch kompetent auftreten und handeln kann. Fast noch bedeutsamer erscheint mir, dass dies nicht unbewusst ist, sondern reflektiert und bewusst geschieht.
Im Laufe einer TA-Ausbildung erlebe ich immer wieder, dass Führungskräfte und Berater/innen sich erst nach und nach bewusst werden, welche ethischen Fragestellungen es in ihrem Kontext gibt und, wie sie damit umgehen. Bewusstheit darüber gehört für mich auch zu ethischer Kompetenz. Damit schliesst sich aus meiner Sicht der Kreis zu professionellem Handeln.
Unterstützt werden dabei professionelle Anwender/innen der TA mit den Ethik-Richtlinien der EATA und dem dazugehörigen Raster, das einerseits hilft alle diese Fähigkeiten zu entwickeln und andererseits in ganz konkreten Fragestellungen Unterstützung gibt, um sich zu reflektieren.



Literatur zum Thema:
Berne, Eric (2001). Die Transaktionsanalyse in der Psychotherapie. Paderborn: Junfermann Verlag.

Dick, M., Marotzki W. & Mieg, H.A. (Hrsg.) (2016). Handbuch Professionsentwicklung. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.

Dietrich, Julia (2008).http://www.dgphil2008.de/programm/sektionen/abstract/dietrich-1.html
abgerufen am 13.2.2018

Ethik-Richtlinien der EATA, enthalten in den Standesregeln der SGTA (www.sgta.ch)

Hassler, Astrid.https://www.ahassler.ch/media/docs/Von-der-guten-Absicht-zur-guten-Praxis.pdf abgerufen am 13.2.2018

Kreuzburg, B., Klingenberg, S., Hallstein, G., Risto K.-H. (1/2009). Ethik und Professionalität. Zeitschrift für Transaktionsanalyse. Seite 55 ff. Paderborn: Junfermann Verlag.